Gott lässt unseren Fuß nicht gleiten

26.5.2014

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26. Mai 2014 von Manfred Rekowski Wie gehen wir mit Tod und Sterben um? Das sind einerseits sehr persönliche Fragen, wenn es Freunde oder Angehörige oder ...

26. Mai 2014 von Manfred Rekowski

Wie gehen wir mit Tod und Sterben um? Das sind einerseits sehr persönliche Fragen, wenn es Freunde oder Angehörige oder uns selbst betrifft, aber diese Frage richtet sich anderseits auch an uns als Gesellschaft.

Das Leben ist ein Geschenk. Als Christinnen und Christen glauben wir, unsere Zeit steht in Gottes Hand. Das ist wohl eine der schwersten Aufgaben eines Menschen, das eigene Leben loszulassen und die Menschen, die zu seinem Leben gehören, die er liebt. Da ist es gut zu wissen, Gott lässt unseren Fuß nicht gleiten.

Als Kirche wissen wir auch, wie wichtig es ist, Menschen in diesem Prozess des Sterbens zu begleiten. Der sterbende Mensch braucht unsere ganze Aufmerksamkeit und Zuwendung, ebenso wie seine Angehörigen. Hospizarbeit und Palliativmedizin übernehmen diese wichtige Aufgabe.

Diese Begleitung Sterbender muss aber auch in unserer Gesellschaft gewollt werden. Diese Zuwendung zu Menschen in der letzten Phase ihres Lebens darf nicht nach Kassenlage geschehen. Den Wert einer Volkswirtschaft kann man mit Angaben zum Bruttosozialprodukt beziffern. Die Werte, die in einer Gesellschaft gelten, zeigen sich am Umgang mit Alten, Pflegebedürftigen und Sterbenden. Wir müssen unsere Stimme erheben, wenn Menschenwürde am Lebensende ökonomisch quantifiziert wird – oder Druck auf Kranke entsteht, weil Pflege bis zum Lebensende in Frage gestellt wird.

Jeder Einzelne hat Anrecht auf Begleitung. Diese wollen wir gerade als Kirche anbieten. Trotz unseres Glaubens entstehen manchmal Zweifel und Fragen. Antworten sind weit weg. In solchen Situationen fragen wir so wie der Gekreuzigte gefragt hat: Mein Gott warum? Warum? Warum hast du mich verlassen? Und gegen allen Augenschein hoffen wir, dass am Ende doch wahr wird: „Gott wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“.

In diesem Sinne möchte ich meine Predigt zum Festgottesdienst 125 Jahre Kreuznacher Diakonie vom 18. Mai 2014 mit ihnen teilen. Mit Psalm 121,3 erzähle ich anhand von Schuhen – vom Kinderschuh bis zum Bettschuh – wie Gott uns vom Anfang bis zum Ende unseres Lebens begleitet.

„Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“ (Psalm 121,3).

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Festgemeinde,

wir sind alle unterwegs. Wir gehen den Weg unseres Lebens. Wir gehen im Laufe des Tages so manchen Meter. Und im Laufe einer Woche oder gar eines Jahres gehen wir so manchen Kilometer. Wir sind allein unterwegs oder gemeinsam. Wir gehen Wege, die uns leicht fallen. Manche Strecken legen wir ganz beschwingt zurück. Andere, vertraute Wege, gehen wir wie im Trott, fast gedankenlos. Wieder andere Wege fallen uns schwer. Manchmal wäre es uns am liebsten, der Weg hörte gar nicht auf, weil wir wissen, dass die Situation, die uns erwartet, schwer für uns werden wird.

Unterwegs ist auch unsere Kirche, die evangelische nun schon seit fast 500 Jahren (2017 wird das Reformationsjubiläum gefeiert). Und unterwegs ist die „Stiftung kreuznacher diakonie“, deren 125-jähriges Jubiläum wir heute feiern.

Jede und jeder einzelne von uns, wir alle, die wir unterwegs sind, lassen uns heute Morgen ein Wort aus der Bibel sagen. In Psalm 121,3 heißt es:

„Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“

Darauf kann man nicht von alleine kommen. Das muss man sich sagen lassen. Und wir lassen es uns sagen.

Mir hat Ihre Idee mit den verschiedenen Schuhen sehr gut gefallen. Ich würde nicht jedes Paar tragen wollen, aber die Geschichten, die die Schuhe erzählen, finde ich sehr anregend und eindrücklich. Darum will ich mich im ersten Teil der Predigt mit dem gezeigten Schuhwerk befassen.

Pantoffel

Dieser formschöne/modische Pantoffel, den wir eben gesehen haben, erinnert uns an ein Krankenhaus. Für manche Menschen ist das Krankenhaus ein Arbeitsplatz, für die Pantoffelträger ist es ein Ort, den sie nicht freiwillig aufgesucht haben. Sie sind hier, weil es aus medizinischen Gründen notwendig ist. Wohl alle hoffen auf Besserung. Manche wissen, dass sie nicht mehr gesund werden, und hoffen wenigstens auf hilfreiche Unterstützung und auf Schmerzlinderung. Ihnen allen gilt die Zusage und das Versprechen Gottes: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“.

Ich verstehe das so: Auch dann, wenn du Wege gehen musst, die du dir nie selbst ausgesucht hättest, du bist nicht ohne Gott. Du bist und bleibst gehalten. Gott hat ein Auge auf dich geworfen und er lässt dich im Leben nicht und auch nicht im Sterben los.

Orthopädischer Schuh

Gut, dass es so viele Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen gibt, orthopädische Schuhe zum Beispiel. Den betroffenen Menschen wird so das Leben erleichtert, ein Stück Mobilität/Beweglichkeit ermöglicht. Hier ist im Laufe der Jahre viel geschehen. Aber es geht ja in der Behindertenhilfe nicht nur um unterstützende Hilfsmittel. Es geht um menschliche Begleitung, um ein offenes Ohr und eine helfende Hand. Es geht um Begegnung auf Augenhöhe und darum, dass jede und jeder von uns offen ist und damit rechnet, dass er/sie in der Begegnung mit Menschen mit Behinderungen bereichert wird, etwas lernt. Und es geht darum, dass wir uns nicht beirren lassen: Denn Gott liebt uns Menschen in unserer Unterschiedlichkeit. Wir sind in Gottes Augen wertvoll, so wie wir sind und nicht erst dann, wenn wir einem ungeschriebenen, aber höchst wirksamen DIN-Norm-Maß oder dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Und so gilt auch für die, die langsam, tastend und unsicher — mit orthopädischen Schuhen oder an anderen Schuhwerk (z.B. sportlichen Turnschuhen) — unterwegs sind: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“.

Kinderschuh

Und dann sind da die Kinderschuhe: Am Beginn des Lebens, noch bevor der erste Schuh angezogen wurde, ist vieles offen, vieles möglich. Aber dann erleben wir, dass Kinder manchmal schon auf den ersten Metern des Lebens ins Straucheln kommen, gegen Wände laufen und vor verschlossenen Türen stehen. Wir nehmen wahr, dass Jugendliche nicht ihren Platz finden in unserer Gesellschaft, dass nicht wenige Familien mit dem scheinbar unentwirrbaren Knäuel von Problemen, vor denen sie stehen, nicht fertig werden. Ambulante und stationäre Einrichtungen der Kinder- ,Jugend- und Familienhilfe unterstützen Familien, fördern Kinder und Jugendliche. Wenn Kinder und Jugendliche wieder Fuß fassen, wenn Familien wieder in Tritt kommen, dann wird wahr, was Gott versprochen hat: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“. Hier gibt es immer wieder Hoffnungsgeschichten zu erzählen. Ich füge hinzu: manchmal erleben wir aber auch leider anderes.Dann bleibt: Hoffnung gegen den Augenschein, weil Gott niemanden aufgibt.

Abgelatschter Schuh

Diesem abgelatschten Schuh sieht man an, dass er schon einmal bessere Zeiten erlebt hat. Der Mensch, der diese Schuhe trägt, hat ganz sicher schon einmal anderes erlebt. Aber irgendwann hat es ihn aus der Kurve getragen, sein Leben ist ins Rutschen gekommen und am Ende ist die Wohnung weg, Beziehungen sind abgebrochen und die Straße wird zum Lebensmittelpunkt. Was bleibt, sind Schutzlosigkeit und die Sorge um einen Schlafplatz, um ein warmes Essen, Kleidung und was sonst zum Leben gehört. Wer so unterwegs ist, der bekommt in unseren Straßen vielfach zu spüren, dass er nicht mehr dazugehört. Manchmal ist ein Hund der einzige „Gesprächspartner“ und treuer Freund. Die ambulante und stationäre Hilfe der Wohnungslosenhilfe will dem entgegentreten. Ich finde das Motto der Stiftung kreuznacher diakonie „nicht aufhören anzufangen“ ganz ausgezeichnet und würde es am liebsten für die Evangelische Kirche im Rheinland übernehmen. Es drückt die Haltung eines jeden Christen/einer jeden Christin aus. Und es zeigt, dass in Diakonie und Kirche niemand abgeschrieben wird, sondern eine zweite Chance erhält. Wenn ich höre „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“, dann lasse ich mir sagen: Gott hat auch ein Auge auf die Menschen geworfen, deren Leben so ganz anders verläuft als das, was wir für normal halten. Er gibt auch die Schwächsten nicht auf!

125JahreStiftungKreuznacherDiakonie
125 Jahre Stiftung Kreuznacher Diakonie

Altmodischer Schuh

Diese nicht mehr ganz top aktuellen, sondern eher altmodischen Schuhe erinnern uns daran, dass vielen Menschen ein langes Leben geschenkt wird. Natürlich gehört es zum Älterwerden dazu, dass Menschen verletzlicher werden, angewiesen sind auf die Hilfe anderer. Aber sie verfügen auch über einen reichen Schatz an Erfahrungen. Manche spüren, dass ein Menschenleben nicht ausreicht, um das zu verarbeiten, was sie in ihrem Leben erlebt haben. Manche müssen erleben, wie Erinnerungsvermögen, Sprache und geistige Vitalität weniger werden und sich manchmal (fast) ganz auflösen. Die vielfältigen Angebote der Seniorenhilfe fördern, helfen, begleiten und stützen alte Menschen und ihre Familien. Das Vorzeichen vor dem Leben alter Menschen ist Gottes Versprechen: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“.

Bettschuh

Die Bettschuhe signalisieren, dass der Lebensraum sich am Ende des Lebens für manche Menschen auf das Bett reduziert. Das Leben ist ein Geschenk. Das Ende des Lebens setzen wir Menschen genauso wenig fest, wie wir Einfluss nehmen konnten auf den Beginn unseres eigenen Lebens. Unsere Zeit steht in Gottes Hand. Das ist wohl eine der schwersten Aufgaben eines Menschen, das eigene Leben loszulassen und die Menschen, die zu seinem Leben gehören, die er liebt. Der Prozess des Sterbens, oft ja auch eine Abfolge von Hoffnung auf ein Weiterleben und ein Spüren des nahen Endes und das Hoffen auf Ende der Schmerzen und Qualen sowie der Liebe zum Leben und das Festhalten wollen. Der sterbende Mensch braucht unsere ganze Aufmerksamkeit und Zuwendung, aber die Angehörigen auch. Hospizarbeit und Palliativmedizin sind eine ausgesprochen wichtige Aufgabe. So ist es: Den Wert einer Volkswirtschaft kann man mit Angaben zum Bruttosozialproduktbeziffern. Die Werte, die in einer Gesellschaft gelten, zeigen sich am Umgang mit Alten, Pflegebedürftigen und Sterbenden. An dieser Stelle ist ein echter Werteverfall zu beobachten. Die Umstände des Sterbens, die menschlichen Schicksale, die uns begegnen, können uns manchmal sprachlos machen. Trotz unseres Glaubens entstehen dann manchmal Zweifel und Fragen. Antworten sind weit weg. In solchen Situationen fragen wir so wie der Gekreuzigte gefragt hat: Mein Gott warum? Warum? Warum hast du mich verlassen? Und gegen allen Augenschein hoffen wir, dass am Ende doch wahr wird: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“.

Schuhe können Geschichten erzählen. Das haben wir gehört und gesehen. Sie führen uns aber auch vor Augen, was Menschen in der Geschichte der Kreuznacher Diakonie in den letzten 125 Jahren bewegt haben. Menschen, die sich anrühren ließen von der Not anderer Menschen, sind nicht untätig geblieben. Menschen, die sich ansprechen ließen von dem lebendigen Christus, haben etwas für die Menschen bewegt. Sie haben begriffen: „Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, daran zu erinnern, wo Christus in unserer Welt zu finden ist, wo Begegnung mit ihm möglich ist: nämlich in der Begegnung mit den Hungrigen, den Durstigen, den Fremden, den Armen (Nackten), den Kranken und den Gefangenen. Weil wir die Nähe zu diesem gegenwärtigen Christus suchen, wird unser Glaube uns immer mitten in die Welt führen. Der Glaube wird immer parteilich und diakonisch sein und so Gemeinschaftsgerechtigkeit und Gemeinwohl zum Thema machen.“ Darum wird die Kreuznacher Diakonie, jede diakonische Einrichtung immer auch Lobbyist und Anwalt der Schwachen sein.

Die Schuhe erzählen Geschichten von vielen Menschen, die mitgehen, begleiten, helfen, fördern und unterstützen. Diakonie, diakonische Arbeit ist ein starkes Stück Kirche. Das Evangelium, die Nachricht, dass Gott will, dass allen Menschen geholfen wird, wird in der Kreuznacher Diakonie ganzheitlich ausgerichtet. Nicht nur einfach gesagt, sondern ausgerichtet mit Herz und Hand, mit Gefühl und Verstand. Menschen, die begriffen haben, dass wir Jesus im Gegenüber, im Nächsten, treffen, werden aktiv, packen an, gestern, heute und morgen. Wo immer Christinnen und Christen mit Menschen arbeiten, werden sie diese Menschen als Ebenbilder Gottes anschauen. Alle sind unterschiedlich. Alle sind eigen. Jede und jeder ist sein eigener Mensch. Die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit sind atemberaubend (noch viel größer als das Schuhsortiment in diesem Gottesdienst), aber sie alle, jede und jeder ist geliebt, getragen und gehalten von Gott.

Wir gehen weiter. Die Kreuznacher Diakonie in den nächsten Abschnitt ihrer Geschichte. Die Rahmenbedingungen sind nicht einfach und die Herausforderungen sind groß. Ich nenne nur ein einziges Beispiel: Gelingt es, die Rahmenbedingungen für die Pflege alter Menschen – ich denke besonders an den Personalschlüssel – deutlich zu verbessern? Schaffen wir es, menschenwürdige Pflege zu sichern und zu bezahlen?

Jede und jeder von uns geht weiter, verlässt die Kirche und geht dann an den Ort, wo er/sie zuhause ist. Die Zukunft ist für uns unbekanntes Land. Welches Schuhwerk getragen wird, wissen wir nicht. Aber wir glauben: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht“. Und wenn wir uns dann umschauen, werden wir sagen können: „Wir haben Gottes Spuren festgestellt.“

Amen

Foto: fotolia.de/AndreasP

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