„Gott, wir müssen reden“

12.11.2013

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12. November 2013 von Manfred Rekowski Eine Predigt, die ich vorzubereiten und zu halten habe, ist nicht nur eine „Rede“, die sich an Dritte richtet, sondern ...

12. November 2013 von Manfred Rekowski

Eine Predigt, die ich vorzubereiten und zu halten habe, ist nicht nur eine „Rede“, die sich an Dritte richtet, sondern in einer Predigt klärt sich auch etwas für mich selbst. Ich predige nicht nur der in der Kirche versammelten Gemeinde, sondern immer auch mir selbst.

So war es auch diesen Sonntag bei der Predigt beim Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode in der Düsseldorfer Johanneskirche. Der Gottesdienst wurde im ZDF übertragen und ist  hier über die Mediathek auch abrufbar.

„Gott, wir müssen reden“ war das Thema des Gottesdienstes. Wie bringe ich vor Gott, was mich im eigenen Leben, in unserer Welt und in unserer Kirche bewegt. Was bewirkt mein Gebet? Wie verhalten sich Beten und Tun in meinem Leben?

„Gott, wir müssen reden“ – das ist nicht nur ein Thema für einen Gottesdienst, sondern betrifft auch meine Haltung und Einstellung im Alltag meines Lebens.

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde hier in der Düsseldorfer Johanneskirche und zu Hause!

Wuppertal besucht Brandenburg-Ost. Wir sitzen mit unserer Partnergemeinde im Pfarrhaus und singen. „Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehen. Ich möchte über Zäune schauen und über hohe Mauern gehen.“  Ein gesungenes Gebet. Doch irgendwas klingt schief, stimmt nicht an diesem Lied. Es sind nicht die Töne. Wir singen routiniert und geübt. Aber ohne echte Hoffnung, dass sich unsere Worte erfüllen.

Wenige Wochen später in Wuppertal. Der Bibelgesprächskreis trifft sich. Plötzlich kommt die Nachricht: Die Mauer ist offen! Wir schauen uns  ungläubig an: Endlich durch diese hohe Mauern gehen? Von Ost nach West?

Einer spricht aus, was viele denken: Ob Gott unsere Gebete erhört hat?

Wenn Gott damals auf der Seite der Menschen war, die sich so sehr nach Veränderung, nach Recht und Freiheit, sehnten, sollte er dann nicht auch bei denen sein, die ihn heute so dringend brauchen?

Wir haben noch eine Partnerkirche, in Afrika, im Osten des Kongos. Von den Menschen dort wird wenig in den Nachrichten berichtet. Dabei schreit es zum Himmel, wie sie leben müssen: Seit Jahrzehnten sind sie in Bürgerkriege verstrickt.

  • Wir wissen von Frauen, die gemeinsam versuchen, ihre Vereinsamung nach einer Vergewaltigung durchzustehen.
  • Was den Menschen im Kongo Hoffnung gibt, sind Mikrokredite.
  • Und eine Bibel, die sie geschenkt bekommen haben.
  • Kleine Lichtblicke in großer Dunkelheit.

Sie leben am Rande der Stadt Goma in riesigen Flüchtlingscamps. Auch dort, in den beengten Zelten ist niemand sicher vor Gewalt.

Wenn ich sehe, wie sie leben müssen kommt mir ein zorniges Gebet auf die Lippen: “Gott, greif ein! Sorge für Recht und Gerechtigkeit! Mach unserer Ohnmacht ein Ende! Lass unsere Gebete endlich wirken!“

Wie viele kommen in dieses Gotteshaus mit dem Gefühl: Wir müssen reden, Gott! Wem kann ich sonst sagen, was mich im Innersten bewegt? Wo ist ein Platz für das, was mich umtreibt?

Und auch draußen vor der Kirchentür: Unzählige Stoßgebete. Am Krankenbett. Im Büro. Auf der Straße, dem Schulhof …

Doch ändert sich auch etwas? Muss ich vielleicht mehrere Zettel anheften, dringlichere Bitten aufschreiben, damit was passiert? Oder ist das hier nur ein leeres Ritual, und alles bleibt doch so, wie es ist?

Jesus meint: Nein. Es ändert sich etwas, wenn wir zu Gott beten. Aber er argumentiert nicht, wenn es um das Beten geht. Sondern erzählt stattdessen die Geschichte von der Witwe und dem Richter.

Diese Witwe hat es satt. Ihr geschieht Unrecht, doch nichts bewegt sich. So ergreift sie die Initiative und sucht den zuständigen Richter auf.

Gut, wenn man die Adresse kennt, an die man sich wenden kann. Wie oft gibt es gar keinen Zuständigen?

Dagegen hat die Witwe fast schon Glück. Sie hat die richtige Instanz gefunden. Aber die mauert. Und so kommt die Witwe der Lösung keinen Zentimeter näher.

Sie gerät offenkundig an einen Richter, der nach Gusto Recht erfüllen oder Recht beugen kann. Daumen hoch oder runter? Oder die Akte besser nur liegenlassen, bis sie sich von selbst erledigt?  So sieht Willkür aus, die sich als Unabhängigkeit tarnt.

Der Richtet fürchtet sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Bis die Witwe an seiner selbstsicheren Fassade kratzt:
[Der Richter:] Ich tue meine Pflicht, bin allein Recht und Gesetz verpflichtet. Ich bin Richter, und da ist es mein Job, frei und unabhängig zu entscheiden, unbeeinflusst auch von Mitleid. Natürlich fühlen sich manche ungerecht behandelt. Sie wissen schon: Einzelschicksale, Leute, die meinen, sie müssten der unabhängigen Rechtsprechung jetzt mal so richtig die Leviten lesen…

Klar habe ich Spielräume! Ob und wie ich diese nutze, entscheide ich ganz allein. So einfach ist das!

Manchmal, wenn ich nachts wachliege, frage ich mich schon: wieso ziehst du das so durch, bist so eiskalt-professionell von dieser Rolle überzeugt?

Was ist eigentlich mit den Menschen, über die du zu Gericht sitzt? Warum berühren dich deren Sorgen und Ängste überhaupt nicht?

Nur diese Frau da, diese Nervensäge, ausgerechnet die hat mich ganz gehörig zum Nachdenken gebracht…

[Die Witwe:] Ich war es wirklich leid. Für mein Recht brauchte ich diesen Richterspruch. Sonst hätte ich es nicht  durchsetzen können. … Was mir die Kraft zum Kämpfen gab? Vielleicht die Achtung vor mir selbst. Unrecht darf doch nicht die Oberhand behalten nur weil der Zuständige seine Aufgabe nicht erfüllt! Dieser Richter hat mich an meine Grenzen gebracht.

 Aber immerhin weiß ich jetzt, dass sich meine Hartnäckigkeit gelohnt hat. Daran werde ich denken, wenn ich wieder in solch eine Situation komme. Ich weiß jetzt, was mich stark macht und kann die Furcht überwinden.
Beide, weder die handgreifliche Witwe noch der selbstherrliche Richter sind  charmante Sympathieträger. Trotzdem taugen sie in Jesu Augen offenkundig als Beispiel.

„Hört, was der ungerechte Richter sagt“, fordert Jesus seine Zuhörer auf. Und unterstreicht damit nochmal, dass sogar dieser starrsinnige Mann am Ende Recht gesprochen hat. Das ist ja seine Aufgabe.

Wenn also schon dieser hartherzige Richter seiner Aufgabe nachkommt, wie wird erst Gott für Gerechtigkeit sorgen! Denn Gott, der Vater Jesu Christi, ist ja ganz anders. Er hat uns in Jesus Christus sein barmherziges Gesicht zugewandt.

Er ist in Jesus Christus von den Toten auferstanden und hat damit gezeigt, dass er der Herr über alle ist, die Leben beschädigen. Gott hat das letzte Wort. Auch wenn jetzt noch alles dagegen spricht: Gott tritt für seine Menschenkinder ein. In jedem einzelnen Leben. Denn wenn irgendwo auf der Welt Recht gebrochen wird,  steht für Gott in jedem einzelnen „Fall“ alles auf dem Spiel.

Trotzdem steht am Ende der Geschichte kein Triumph, sondern eine Frage: Wird der Menschensohn Glauben finden auf Erden? Diese Frage stellte sich 1989 in Brandenburg-Ost. Sie stellt sich in unseren Tagen besonders schmerzlich an den hohen Mauern und Küsten Europas.

Sie stellt sich in den vielen Ländern, in denen Menschen um ihr Leben kämpfen müssen wie dem Kongo oder Syrien.

Sie stellt sich Männern und Frauen, die es in unserer Stadt schwer haben. Sie bewegt Kinder und Jugendliche, die an dieser Welt leiden. Sie stellt sich den Mitgliedern der EKD-Synode, die unsere Kirche leiten und für unsere Gesellschaft Verantwortung übernehmen.

Überall auf der Welt antworten Menschen auf diese Frage Jesu mit einem Gebet, dem Vaterunser. Wenn wir gleich sprechen  “Dein Reich komme….”  ist in diese Bitte auch der Ruf eingeschlossen: “Gott, greif ein! Sorge für Recht und Gerechtigkeit!”

In diesen alten Worten bleibt unser Glaube wach.

Und in diesen Worten wird Gott bei uns Glauben finden.

Er selbst hält die Hoffnung unter uns lebendig.

Er wird Recht schaffen.

Und wir?

Wir beten.

Wir beten und warten.

Wir beten und hoffen.

Wir beten und hoffen und tun, was Not wendet.

Amen.

Beiträge zu “„Gott, wir müssen reden“

  1. Sehr geehrter Herr Präses Rekowski,
    eine ansprechende und schöne Predigt, wie ich finde. Die Nervensäge ist klasse! Wie wohl das Selbstbild einer „Nervensäge“ aussieht, wenn sie denn eine glaubwürdige solche ist…? Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Eine Gratwanderung zwischen Innen und Außen. Und je härter zu sägen, umso heißer geht es dann her.
    Danke trotzdem für diese Predigt.

  2. Sehr geehrter Herr Rekowski!
    Die Einleitung hat mich sehr angesprochen. Wir hatten auch regelmäßigen und engen Kontakt zu unserer Partnergemeinde in der DDR. Und wir hätten alle diesen Mauerfall nie für möglich gehalten. Wir haben genau wie Sie für den Frieden gebetet und gesungen – und wir sind wunderbar überrascht worden: Eine Revolution ohne Blutvergießen. Frage: Warum feiern wir das eigentlich nicht fröhlicher?
    Alles Gute!

  3. Lieber Bruder Rekowski!
    Ich danke auch für die sehr gute Predigt!
    Unsäglich, ja: einen Gegenpol zu Ihrer Predigt fand ich die poetische Fürbitte: „… wenn Kriege ihre Opfer bei uns abladen…“ Wer hat denn das so menschenverachtend formuliert und durch die Endredaktion bekommen?
    Überhaupt: Wie kann ein TV-EKD-Eröffnungsgottesdienst völlig unerwähnt lassen, dass wir an diesem Sonntag direkt von der ÖRK-Vollversammlung in Busan/Südkorea kommen (Schindehütte war ständig in der ersten Reihe zu sehen) und direkt in die Ökumenische FriedensDekade gehen???
    Wo war einer der Chöre der südkoreanischen Schwestergemeinden aus Düsseldorf? Verschenkte Gelegenheit! Die Predigt in verteilten Rollen war wie gesagt sehr gut!

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