Keine Religion rechtfertigt Gewalt

8.1.2015

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Je suis Charlie - ich bin Charlie: Solidaritätsbekundung für die Opfer des Charlie-Hebdo-Attentats. 8. Januar 2015 von Manfred Rekowski Als Christinnen und Christen verurteilen wir den Anschlag auf die Redaktion des Magazins Charlie Hebdo in Paris. Wir trauern um ...

8. Januar 2015 von Manfred Rekowski

Als Christinnen und Christen verurteilen wir den Anschlag auf die Redaktion des Magazins Charlie Hebdo in Paris. Wir trauern um die Ermordeten, unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen.

Keine Religion darf missbraucht werden, um Gewalt zu rechtfertigen. Dieser Anschlag trifft unser Selbstverständnis. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. In unserer Demokratie gelten Menschenrechte, Meinungsfreiheit und selbstverständlich auch Religionsfreiheit. Auf diesen Werten gründet sich unsere Wertegemeinschaft in Europa, diese Werte wurden durch das Attentat angegriffen.

Der Schriftsteller Navid Kermani drückt dies so aus:

 „Das ist nicht nur ein Anschlag auf eine Zeitschrift und auch nicht nur auf die Kunst. Das ist ein Anschlag auf ein Europa, das den Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung Würde, Freiheit und gleiche Rechte zuspricht auch und zumal den Muslimen. Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei.“

Die Attentäter handeln nicht im Namen des Islam. Als Christinnen und Christen müssen wir widersprechen, wenn Religionen nicht nach ihrem Selbstverständnis beurteilt, sondern auf Pervertierungen reduziert werden.

Dies hat der Zentralrat der Muslime auch sehr deutlich gesagt:

„Es gibt in keiner Religion und keiner Weltanschauung auch nur einen Bruchteil einer Rechtfertigung für solche Taten. Dies ist ein feindlicher und menschenverachtender Akt gegen unsere freie Gesellschaft. Durch diese Tat wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube wurde verraten und unsere muslimischen Prinzipien in den Dreck gezogen.“

In unserer Gesellschaft leben Menschen mit verschiedenen Überzeugungen, Weltanschauungen und Religionen zusammen. Wir müssen uns dem Dialog stellen, auskunfts- und sprachfähig sein, über das, was uns in unserem Glauben wichtig ist. Dazu gehört es aber auch, dass wir hinterfragt werden, auch durch Satire. Dies hält der Glaube aus und muss es aushalten.

Aufklärung und Sprachfähigkeit in Sachen Glaube und Religion sind deshalb nötig. Deshalb hat unsere Kirche einen Bildungsauftrag in einer multireligiösen Gesellschaft. Eins ist klar: Gewalt darf niemals eine Antwort sein.

Ich danke deshalb heute insbesondere all jenen, die sich seit vielen Jahren vor Ort in den Gemeinden um ein angstfreies Begegnen von Christinnen und Christen mit Musliminnen und Muslimen bemühen.

Die Gefahren durch Terrorismus gilt es mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu bekämpfen. Bei der Prävention können wir als Kirche gemeinsam mit den muslimischen Organisationen einiges tun. Ich begrüße es, dass auch mehr und mehr muslimische Gemeinden in der Öffentlichkeit erkennbar der Frage nachgehen, worin eigentlich ihre Verantwortung besteht, wenn Jugendliche an extremistische Gruppen verloren gehen.

Die diffusen Ängste in der Bevölkerung müssen wir ernst nehmen, indem wir auch für Menschen ansprechbar bleiben, die z. B. verunsichert werden durch sich schnell verändernde Stadtteile, ansprechbar für ihre Unsicherheit, ihre Sorgen und auch für die mitunter aufkommenden Fremdheitsgefühle. Wer aber aufgrund des Attentates Muslime und Musliminnen nun ausgrenzt, gibt den Attentätern nachträglich Recht und verleugnet unsere plurale Gesellschaft.

Als Christinnen und Christen stehen wir für den Dialog ein – und für die Freiheit der Gesellschaft, in der wir leben.

Beiträge zu “Keine Religion rechtfertigt Gewalt

  1. Leider genügt es nicht zu sagen: „Die Attentäter handeln nicht im Namen des Islam.“ Denn Islamisten wie der IS oder auch die Attentäter von Paris interpretieren den Islam auf eine bestimmte – menschenverachtende – Weise. Ansätze dazu gibt der Koran durchaus her: „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt.“ (Sure 47, Vers 4)
    Es liegt an den Muslimen selbst, bestimmte Interpretationen des Islam als „falsch“ oder „unislamisch“ auszugrenzen und als Irrlehre zu verurteilen. Das wäre z.B. die Aufgabe der Al-Azahr-Universität Kairo, die eine der anerkanntesten islamischen Lehrstätten auf der Welt ist. Meines Wissens hat sie bislang jedoch davor zurückgeschreckt, faschistoide Auslegungsvarianten des Islam als „unislamisch“ zu verurteilen.
    Man macht sich etwas vor, wenn man so tut, als würden Muslime, die bestimmte Passagen des Koran oder der islamischen Überlieferung wörtlich nehmen, ihn verleugnen. Es fehlt die Instanz, die darüber entscheidet, was metaphorisch oder wörtlich oder historisch zu verstehen ist.
    Nötig ist eine Aufklärungsbewegung im Islam.

  2. Zitat Andreas Grefen: Leider genügt es nicht zu sagen: “Die Attentäter handeln nicht im Namen des Islam.” Zitatende. Genau das ist es.

    Weiter heißt es bei Herrn Grefen: Es liegt an den Muslimen selbst, bestimmte Interpretationen des Islam als “falsch” oder “unislamisch” auszugrenzen und als Irrlehre zu verurteilen.Zitatende.
    Es gibt viele Statements von Imamen und anderen offiziellen Muslimen, die die Tat in Paris verurteilen.
    Für mich ist jedoch nur eines wichtig: Es gibt vier bis fünf Millionen Muslime in Deutschland. Es muss doch möglich sein, einige zehntausend muslimische Menschen auf die Straße zu bekommen, um gegen die Gewalt der Mörderbanden des IS, gegen die Gewalt einzelner Islamisten und gegen die Salafisten in Deutschland zu demonstrieren.
    Die Frage ist, wer zu diesen Demonstrationen aufrufen soll und vor allem WILL.

  3. Wo waren denn die christlichen Demonstranten, als die NSU einen nach dem anderen ermordet hat? Wo gibt es Demonstrationen von Christen, wenn es Kollateralschäden bei der Bekämpfung des Terrorismus am Hindukusch gibt? Es gibt übrigens Demonstrationsaufrufe von Muslimen, nur gehen die bei den Medien unter. Außerdem standen viele Muslime als Franzosen mit auf den Plätzen in Frankreich und in anderen Staaten.

  4. Ehrlich gesagt, lieber Bruder Reinhold, gehen wir doch als Christen viel zu wenig auf die Straße, wenn es Progrome in christlichen Dörfern in Syrien, Irak, Pakistan und Nigeria gibt.
    In den letzten Jahren hat sich die Lage dort im Zuge eines Islamisierungsprogramms durch neue diskriminierende Gesetze sehr verschlechtert, ohne dass wir protestiert haben. Warum prangern wir nicht deutlicher an, dass in islamisch geprägten Ländern Nicht-Muslime nicht im Besitz der Bürger- und Menschenrechte sind und die Ursache dafür ein Überlegenheitsanspruch des offiziellen Islam ist? Warum sagen wir nicht deutlicher, dass die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten vor der dortigen „Islamisierung“ fliehen?
    Wir schweigen als Kirche vielfach dazu, weil wir Angst haben, den Islamhass hier bei uns zu fördern. Eines Tages sind die Christen in diesen Ländern ausgerottet, und wir fragen uns, warum wir tatenlos zugesehen haben.

    Die zentrale Frage, ob der islamistische Terror zum Islam gehört, hat der Ratsvorsitzende und Präses i.R. Nikolaus Schneider in der Tageszeitung „Die Welt“ am 6.11.2014 übrigens in bemerkenswerter Klarheit so beantwortet:

    „Was von den (islamischen)Verbänden an Auseinandersetzung mit Ansatzpunkten für die Legitimierung von Gewalt im Koran und in der islamischen Tradition bisher kommt, ist mir zu wenig. Erst einmal gehe ich davon aus, dass sie sich vorbehaltlos für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen einsetzen und nichts mit dem IS zu tun haben. Wir müssen aber nüchtern feststellen, dass sich der IS auf den Islam beruft. Darüber haben wir zu debattieren. … Im Islam hingegen hing seine rasche Verbreitung „mit Feuer und Schwert“ von Anfang an mit Kriegen zusammen. Das hat offensichtlich Ansatzpunkte im Koran – wie ja auch die Bibel für Begründungen von Gewaltanwendung nicht frei ist. Darauf können heute jene zurückgreifen, die den Glauben für ihr Gewaltregime missbrauchen wollen. Dem etwas entgegenzusetzen, ist für Vertreter des friedlichen Islam heute schwieriger als für christliche Theologie. Das liegt zum einen an der Hermeneutik im Blick auf den Koran, aber in einigen Staaten auch an dem Einsatz von staatlicher Gewalt zur Durchsetzung religiöser Gesetze.“

    Hier kann man dem früheren Präses und Ratsvorsitzenden nur zustimmen!

  5. Lieber Bruder Berke,

    ich bin vollkommen bei Ihnen: Als Christen haben wir gegen Gewalt zu protestieren – ganz gleich, wer sie wo ausübt und wer darunter leidet. Doch das war ja nicht das Thema, zu dem ich hier geantwortet habe. Es ging hier um eine Aufforderung von (vermutlich) Christen an Vertreter einer anderen Religion, sich gegen die Gewaltbereiten in ihren Reihen zu stellen. Und ich habe lediglich darauf aufmerksam zu machen versucht, dass man erst einmal vor der eigenen Kirchentür kehren sollte, bevor man vor den Moscheen sauber macht.

    Was die Kritik des Herrn Schneider an islamischen Verbänden betrifft, kann ich ihm nur zum Teil zustimmen. Natürlich sollten sich jene in dieser Form äußern – und die meisten von ihnen tun dies ja auch. Allerdings müssen wir konstatieren, dass der Islam eine völlig andere Organisationsstruktur aufweist als das Christen- oder Judentum. Es gibt keinen „offiziellen“ Islam, deshalb kann es auch keine „offizielle“ Verlautbarung geben, die für alle Muslime verbindlich wäre. Das funktioniert schon in Deutschland nicht. Nicht umsonst sind die meisten Opfer gewaltbereiter islamistischer Gruppierungen Muslime! Das ist ein tragisches Dilemma, das es zu beachten gilt.

    Ich sehe daher bisher nur zwei Lösungsansätze: Entweder müssen wir den Muslimen regional die Zeit und die Möglichkeiten geben, sich ähnlich zu strukturieren wie das Christentum – das wird zum Teil in Deutschland schon versucht – oder wir müssen auf einer ganz anderen Ebene mit ihnen in Kontakt treten und zwar an der Basis, in der Gemeinde vor Ort. Und das fängt dann beim Fußballverein an und hört bei Gemeindefesten nicht auf.

    Zuletzt: Die Frage, ob der islamistische Terror zum Islam „gehört“, ist m.E. falsch gestellt. Denn dann „gehören“ die Gewalttaten der Kreuzzüge oder der Bruderkrieg in Irland auch zum Christentum. Tun sie das? Wollen wir das? Oder wurde und wird nicht vielmehr eine Religion dazu missbraucht, die notwendige Motivation bei Menschen zu wecken, das eigene Gewissen zu ignorieren und etwas zu tun, was ihrem Gott zutiefst zuwider ist: nämlich sich gegenseitig das Leben zu nehmen?

  6. Vor der eigenen Haustür, lieber Bruder Reinhold, kehren wir doch permanent. Und dies, obwohl doch niemand mehr weder in unserer Kirche noch in anderen Kirchen eine Kreuzzugstheologie vertritt. Oder kennen Sie jemanden? Wir führen in unserer Kirche ständig Gefechte mit Positionen, die – Gott sei gedankt – seit langem der Vergangenheit angehören.
    Es gibt einen neutestamentlich begründeten Konsens der Weltchristenheit, dass Gewalt kein Mittel der Kirche oder auch des Christen ist, um den Glauben an Jesus Christus zu verbreiten. Dies gilt selbst für die Christen in Verfolgungssituationen in Syrien, Irak, Pakistan, Nigeria, die von ihren Bischöfen aufgerufen werden, nicht Hass und Gewalt, die sie erlitten haben, mit gleicher Münze zu vergelten, sondern Versöhnung zu leben.
    Präses i.R. Nikolaus Schneider hat doch völlig recht, wenn er sagt, dass man im Bereich des Islam heute weit davon entfernt ist. Ich möchte hinzusetzen: Sogar eine Zunahme von Gewalt zu beobachten ist. Es gibt mehr gewaltbereite Muslime als vor 15 Jahren. Es gibt mehr staatliche Gewalt gegenüber Nicht-Muslimen und andersdenkenden Muslimen mit Berufung auf den Islam in islamischen Ländern. Davor können wir nicht einfach unsere Augen verschließen.
    Präses i.R. Schneider hat auch Recht, wenn er sagt, dass es für Muslime schwerer ist, Gewaltfreiheit aus dem Koran zu begründen, weil der Prophet Mohammed selbst seine Lehren militärisch – also mit Gewalt – durchgesetzt hat.
    Fazit: Gerade weil wir uns mit den gewalttätigen Verirrungen in der Kirchengeschichte intensiv auseinander gesetzt haben, unsere Schuld bekannt und der Gewalt abgeschworen haben, können, dürfen und müssen wir unsere muslimischen Gesprächspartner darauf ansprechen, ob sie den Mut haben, gleiches in ihren eigenen Reihen zu tun und die offensichtliche Schweigespirale dort zu durchbrechen. Dabei ist klar, dass die meisten muslimischen Gesprächspartner friedliebend sind. Aber das nutzt nichts, wenn sie keinen Mut haben, sich mit Hasspredigern und Gewalttendenzen innerislamisch auseinanderzusetzen. Den Mut benötigen sie, weil sich die Gewalt eben auch gegen sie richten kann.

  7. Thema von Herrn Präses Rekowski sind die Gewaltexesse in der Gegenwart. Die Kreuzzüge sind 800 Jahre her und die Hintergründe kennen doch die wenigsten. Auch wenn sie sich vollmundig darauf beziehen.
    Im Sommer 2014 haben Salafisten in den Fußgängerzonen Exemplare des Koran verteilt wie andere Leute Reklame mit der Schlagzeile „ich bin doch nicht blöd“. Wo viele der verteilten Exemplare gelandet sind, möchte ich gar nicht wissen.
    Weder die DITIB noch der Zentralrat der Muslime (der jetzt die Veranstaltung am Brandenburger Tor moderiert hat) noch irgendein Moscheeverein haben reagiert und die Salafisten zur Ordnung gerufen.
    Genau so wenig, wie die friedliebenden Muslime mit dem IS, mit Boko Haram oder den Taliban identifiziert werden wollen, will ich als Deutscher nicht mit der NPD, mit der Pegida oder mit der AfD in einen Topf geworfen werden.
    In 2012 hat zwei oder drei Mal die NPD zu einer Demo aufgerufen. Vor Ort waren dann so acht bis zehn „Demonstranten“, denen dann rund 200 Leute der Kirchen und Gewerkschaften gegenüber standen. Ich habe mich geärgert, dass ich mir morgens früh um 8.00 Uhr wegen dieser paar Hanseln auf der Straße die Beine in den Bauch gestanden habe. Ich würde aber wieder hingehen, weil diesen Parolendreschern gezeigt werden muss, dass sie nicht willkommen sind. Die zehntausende Gegendemonstranten in den verschiedenen Städten waren in den letzten Tagen jetzt eine beeindruckende Kulisse.
    Die Mahnwache in Berlin hat gezeigt, dass Gemeinsamkeiten auch bei den Muslimen möglich sind. Jetzt sollte man auf diesem Weg weiter gehen. Zehntausende Muslime auf der Straße, angeführt von Vertretern des KRM, der türkischen Gemeinde und der DITIB würden den Schreihälsen von Pegida & Co. den Wind aus den Segeln nehmen.

  8. Lieber Bruder Berke, die „Weltchristenheit“ hat lange, lange dafür gebraucht, um diesen von Ihnen angesprochenen Konsens – wenn er denn tatsächlich so besteht, was man durchaus in Zweifel ziehen kann – herzustellen – und das, obwohl sie hierarchisch strukturiert war und ist. Im Islam ist solch ein Prozess ungleich schwieriger. Deshalb bleibe ich bei meinen beiden vorgeschlagenen Lösungswegen.
    PS: Haben Sie den Koran gelesen?
    Herzlichen Gruß …

  9. Ich plädiere sehr dafür, vor Ort Kontakte zu Muslime und – wo möglich – auch zu Moscheegemeinden zu knüpfen, die dialogwillig sind. Das ist z.B. gegeben bei Gemeinden, die dem türkischen DITIB-Verband angehören. Persönliche Kontakte können da helfen, auf beiden Seiten manches Zerrbild voneinander zu beseitigen.
    Dennoch sollte man realistisch wahrnehmen, dass der Islam in Deutschland und der Islam z.B. im Nahen und Mittleren Osten in keinster Weise miteinander vergleichbar sind. Die derzeitigen Demonstrationen u.a. in Pakistan richten sich ja nicht etwa gegen die Terroranschläge von Paris, sondern gegen die erneute Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen durch westliche Zeitungen. Es werden von hochrangigen Vertretern des Islam dort unverhohlen neue Drohungen gegen die Pressefreiheit und die westliche Welt formuliert. Wer das hier bei uns aber nicht sehen und hören will, macht sich im Blick auf das Gewaltpotential des weltweiten Islam etwas vor.

  10. Lieber Andreas Grefen,
    gut, dass Sie differenzieren. Leider heben Sie Ihre eigene Differenzierung am Ende Ihres Beitrages wieder auf und sprechen vom Gewaltpotential des „weltweiten“ Islam, obwohl sie vorher noch den „deutschen“ deutlich unterschieden haben.
    Ich denke, das ist genau das Problem. Wir haben es nicht mit „dem“ Islam zu tun, sondern mit kulturell und politisch unterschiedlich geprägten Ausformungen. Scheren wir alle über einen Kamm, laufen wir Gefahr, die Kommunikation, die Sie ja richtigerweise unterstützen, schon im Keim zu ersticken.
    Der Koran, um einmal nicht von Islam zu sprechen, besitzt natürlich das Potential, gewaltauffordernd interpretiert zu werden – genauso wie die Bibel. Man kann ihn aber auch anders lesen – genauso wie die Bibel. Es hat eine Zeit gegeben, da war der Islam als äußerst tolerante Religion bekannt.
    Es liegt also nicht an der Religion an sich, auch nicht am Koran, sondern an den Menschen, die das eine leben und das andere interpretieren.
    Herzlichen Gruß,
    Andreas Reinhold.

  11. Lieber Herr Reinhold,
    wir tun den Dialogbemühungen bei uns in Deutschland keinen Gefallen, wenn wir Appeasement betreiben und die Augen vor der Tatsache verschließen, dass islamistische Strömungen weltweit ihre Ideologie bis ins Detail religiös legitimieren – einschließlich des unsäglichen Judenhasses. Und der Koran gibt das leider her, wenn man ihn denn als verbalinspiriert betrachtet und wortwörtlich versteht.
    Hier ist eine Art aufklärerische Bewegung im Islam vonnöten, die bestimmte – menschenverachtende – Auslegungstraditionen ächtet. Und das könnte aus meiner Sicht nur eine von den meisten Muslimen geachtete Lehrstätte wie die Al-Azahr-Universität in Kairo tun – so sie es denn will. Einen Aufruf in dieser Richtung hat ja kürzlich bereits der ägyptische Präsident Abdel Fatah el-Sisi getätigt.
    Wir tun insbesondere aufgeklärten Muslimen bei uns keinen Gefallen, wenn wir kritische Fragen an bestimmte Auslegungsströme des Islam ängstlich tabuisieren.

  12. Lieber Bruder Reinhold,
    ich finde es im Prinzip sympathisch, wie Sie den Koran verteidigen. Mich stört jedoch die ungleich kritischere Haltung, die sie gegenüber unserer christlichen Tradition an den Tag legen. Es kann doch niemand ernsthaft bezweifeln, dass die Botschaft von Jesus Christus, wie sie in der Bibel bezeugt ist, eine Botschaft der Gewaltlosigkeit ist. Wer mit Berufung auf die Bibel Gewalt anwendet, kann sich nicht auf Jesus Christus berufen!
    Mich beeindruckt es immer wieder, dass die geistlichen Leiter der Christen in Syrien, Pakistan, Irak und Nigeria, wo derzeit die schlimmsten Gewaltexzesse gegenüber Christen stattfinden, dennoch zur Versöhnung aufrufen und gegen die Vergeltung und den – menschlich verständlichen – Hass predigen. Das heißt: Wer dort in die Kirche geht, hört eine Botschaft des Friedens und der Liebe.
    Demgegenüber muss leider festgestellt werden, dass viele der islamistischen Terroristen sich im Umfeld von Moscheen radikalisiert haben. Diese befinden sich nicht allein in islamischen Ländern, sondern auch bei uns.
    Den Koran habe ich in Auszügen gelesen. Er kennt auch die Botschaft der Barmherzigkeit. Jedoch legitimiert er an nicht wenigen Stellen die Gewalt gegenüber Nicht-Muslimen. Der Prophet Mohammed hat den Islam gewaltsam ausgebreitet. Da besteht ein tiefgreifender Unterschied zwischen ihm und unserem Herrn Jesus Christus, den niemand ernsthaft bestreiten kann. Zudem kennt der Koran keine Unterscheidung von „Kirche“ und Staat. Dadurch besteht die Tendenz, religiöse Vorschriften zu staatlichen Gesetzen und damit für alle Bürger verbindlich zu machen. Dies ist in allen Ländern mit islamischer Prägung zu beobachten und führt per se zur Unterdrückung von Nicht-Muslimen, die nicht im Vollbesitz der Menschen- und Bürgerrechte sind.
    Über dies alles muss mit Muslimen in aller Offenheit und ohne Denkverbote gesprochen werden.

  13. Lieber Bruder Berke,

    natürlich nehme ich gegenüber meinem eigenen Glauben eine kritischere Haltung ein – Jesus hat schließlich auch nicht die heidnischen Kultstätten aufgeräumt, sondern den eigenen Tempel! Ich habe zwar den Koran in weiten Teilen gelesen, aber ich bin kein Muslim, kann mich in die kulturelle Gedanken- und Glaubenswelt also nur bedingt hineinversetzen. Von außen Kritik zu üben, ist sicher legitim, aber eben auch schwierig.

    Dass die christliche Religion mit Gewaltanwendung nicht vereinbar ist, das sehe ich ja genauso wie Sie. Allerdings hat es gedauert, bis sich diese Einsicht durchgesetzt hat. Und: Es gibt natürlich auch im NT Stellen, die man durchaus mit Gewaltanwendung in Verbindung bringen kann, wenn man will (z.B. Mt 10,34 – um nur eine zu nennen).

    Es wird m.E. zu schnell eine Argumentationskette gebildet, die da lautet: Koran => Islam => Gewaltpotential => Terrorakte. Wer hier nicht ordentlich differenziert, droht Menschen zu radikalisieren, die dies vielleicht gar nicht wollen (Stichwort Baader Meinhof). Man schafft sich so viel mehr Feinde als nötig.

    Im übrigen: Natürlich sind Gewaltakte gegenüber Christen weltweit zu verurteilen. Allerdings lauten die – salopp formuliert – Sparringspartner m.E. nicht Chisten – Muslime (viele der Muslime, die ich kenne, haben sehr großen Respekt vor überzeugten Christen), sondern eher Nordwesten – Südosten. Hierzu ein kurzes Zitat aus einem FaceBook-Eintrag des Publizisten und Medienpolitikers Jürgen Todenhöfer:

    „Kein arabisches Land hat in den letzten 200 Jahren den Westen überfallen. Der Westen jedoch fiel unzählige Male mordend in die muslimische Welt ein. Bin Ladens Al Qaida tötete im Westen fast 3.500 Menschen. Doch Bush junior tötete allein im Irakkrieg über 500.000 Iraker. Der Westen war seit Jahrhunderten viel grausamer als die muslimische Welt. Der Westen, nicht der Islam, muss sein Verhältnis zur Gewalt klären. Solange er das nicht kapiert, wird es immer Terrorismus geben.“

    Wenn Sie jetzt noch den „Westen“ mit „christlichem Abendland“ gleichsetzen – was von radikalisierten Muslimen gemacht wird -, dann sind wir genau da, wo wir eben nicht hinwollen.

    Herzlichen Gruß,
    Andreas Reinhold.

  14. Das Gefährliche, lieber Bruder Reinhold, an dem gegenseitigen Aufzählen von Gewalttaten besteht darin, dass dies den Gewaltbereiten in die Hände spielt. Denn der Verweis auf erlittene Gewalt führt schnell zum Geist der Vergeltung, der der Nährboden für die Gewaltbereitschaft ist.
    An dieser Stelle sind die Christen in Syrien, Irak und Pakistan, die unter nie dagewesener Gewalt von Seiten islamistischer Fanatiker leiden, vorbildlich. Denn sie haben diesem Geist der Vergeltung abgesagt und sind zur Versöhnung mit den Muslimen bereit. Sie wollen die Spirale der Gewalt nicht weitertreiben.
    Hier würde ich einen muslimischen Gesprächspartner fragen, ob in den Moscheen eine Absage an den Geist der Vergeltung verbunden mit der Bereitschaft zur Versöhnung verkündigt wird.
    Eine Predigt, die die erlittene Ungerechtigkeit brandmarkt ohne der Vergeltung abzuschwören, kann von den Hörern zumindest missverstanden werden.
    Ein Bericht der Journalistin Kathrin Spoerr über einen Moschee-Besuch bei Salafisten in Berlin-Neukölln (Link: http://www.welt.de/vermischtes/article136606762/Ich-kenne-den-Islam-nicht-und-will-das-aendern.html)
    vermittelt den Eindruck, dass diese Richtung erheblichen Zulauf vor allem bei jungen Muslimen hat. Die hier wiedergegebene Predigt des Imams verkündigt auf der einen Seite die Güte Allahs, aber geißelt die „Unzucht“ der westlichen Gesellschaft. Eine Entschuldigung für die Terrortat in Paris wird von dem Imam mit der Begründung abgelehnt, dass man sich eigentlich bei den Muslimen entschuldigen müsse. Von dem Geist der Versöhnung ist da nichts zu spüren, jedoch sehr viel Ablehnung der westlichen Gesellschaft.
    Es ist klar, dass diese radikale Richtung nur für einen Teil der Muslime steht. Aber dieser Teil wächst und nimmt dadurch an Einfluss zu! Die Frage muss darum erlaubt sein: Findet über solche Predigtinhalte unter den islamischen Gruppierungen eine Auseinandersetzung statt oder wird – vielleicht aus Angst, vielleicht wegen des Drucks von Geldgebern – dazu geschwiegen?

  15. Verzeihen Sie, lieber Bruder Berke, wenn ich jetzt etwas irritiert bin.

    Sie weisen auf die Gefährlichkeit der gegenseitigen Auflistung von Gewalttaten hin – was ich nachvollziehen kann -, führen aber selbst in fast all Ihren Beiträgen hier die Leiden der Christen in Syrien, Irak und Pakistan auf. Ist das nicht inkonsequent?

    Sie verweisen auf einen Artikel der WELT, in dem über eine vom Verfassungsschutz beobachtete Moschee von Salafisten berichtet wird und nehmen die dort gemachten Äußerungen zum Anlass, die Auseinandersetzung der islamischen Geistlichkeit mit dem Thema Gewalt und Versöhnung in Frage zu stellen? Dann können Sie auch eine Veranstaltung der NPD besuchen und daraus Rückschlüsse auf die Ausländerfreundlichkeit in den deutschen Parteien schließen.

    Woher Sie die Erkenntnis haben, dass die radikale Ausrichtung des Islams wächst, ist mir auch nicht klar. Nur, weil wir sie jetzt hier vor Ort zu spüren bekommen? Worauf bezieht sie sich? Auf Deutschland? Auf Europa? Auf den Islam insgesamt?

    Ich denke, wir alle sollten von solch pauschalen und von einer ganz bestimmten Perspektive genährten Urteile sehr vorsichtig Gebrauch machen.

    Es gibt im Islam die Auseinandersetzung mit den Themen, die das Christentum in weiten Teilen schon beackert hat: Gewalt und Versöhnung, Trennung von Staat und Religion (die wir hier in Deutschland ja auch nicht 100%ig haben), Ökumene … Es gibt auch Medien, die darüber berichten, allerdings ist die WELT dafür nicht gerade bekannt (der SPIEGEL im übrigen auch nicht, nur damit Sie nicht denken, ich sei auf einem Auge blind). Eines der letzten Funkhausgespräche des WDR ist dahingehend sehr aufschlussreich:

    http://www.wdr5.de/sendungen/funkhausgespraeche/funkhausgespraeche366.html

    Vielleicht sollten wir weniger die Unzulänglichkeiten anderer Religionen brandmarken und vielmehr dazu übergehen, ihre Stärken wertzuschätzen. Im christlich-jüdischen Dialog haben wir doch damit sehr erfolgreich Gemeinsamkeiten eruiert. Warum soll das nicht auch in islamisch-christlicher Hinsicht möglich sein? Wenn man sich erst einmal angenähert hat, kann man sich auch konstruktiver über Irritationen und Unterschiede austauschen.

  16. Nein, es ist nicht inkonsequent, lieber Bruder Reinhold, die Leiden der Christen, verursacht durch islamistische Fanatiker und durch intolerante Gesetze in den meisten islamischen Ländern mit einzubeziehen. Denn die Christen dort gehen vorbildlich, also versöhnungsbereit, damit um. Aber ich kann mir kein Gespräch mit Muslimen vorstellen, in dem nicht diese Menschenrechtsverletzungen zur Sprache gebracht werden.
    Dass die Salafisten nicht mit anderen Muslimen in einen Topf geworfen werden dürfen, weiß ich wohl. Bereitet Ihnen nicht auch Sorge, dass diese Richtung im Islam offensichtlich wächst und junge Leute anzieht? Darf man nicht offen die Sorge äußern, dass die Politik Erdogans auf die Ausrichtung der DITIB, also der staatlichen Religionsanstalt für die türkischen Muslime in Deutschland, und ihrer Imame Auswirkungen hat? Das alles gehört doch zu einem offenen, ehrlichen Gespräch mit Muslimen dazu.

  17. Tja, lieber Bruder Berke, da sind wir mal wieder bei dem Balken und dem Splitter angelangt.

    Ich stimme Ihnen ohne Wenn und Aber zu: Ein Dialog, der Verständigung zum Ziel hat, kann nur offen und ehrlich geführt werden – und selbstkritisch! Was meine bisherigen Kontakte zu Muslimen angeht, habe ich da in der Tat ambivalente Erfahrungen gemacht, in der Summe waren die moderaten und reflektierten Stimmen aber deutlich in der Mehrheit.

    Bei all der öffentlichen Diskussion habe ich allerdings das Gefühl, dass sich in manchen christlichen Köpfen eine moralisch-ethische Überlegenheit eingenistet hat, die zur Überheblichkeit führt. Dabei – und das ist mein Punkt – ist der Einfluss unseres Glaubens auf politisch und wirtschaftlich fragwürdige Entwicklungen nicht unerheblich. Ich nenne als Beispiel den Einfluss des Calvinismus auf die amerikanische Wirtschaftspolitik innerhalb der WTO oder ihren expansiven politischen Missionsgedanken, der sogar vor völkerrechtlich fragwürdigen Kriegen nicht zurückschreckt.

    Es ist halt nicht so einfach, wie es an vielen Stellen dargestellt wird. Die barbarischen Übergriffe von radikalen muslimischen Kräften auf Christen zu verurteilen ist leicht, weil – verzeihen Sie mir bei dieser Materie den Begriff – „anschaulich“. Deshalb ist das bei Talk-Shows & Co. auch immer wieder – und zu Recht, wie ich betonen will! – Thema. Aber sobald die Zusammenhänge zwischen westlicher Politik/Wirtschaft und christlichen Traditionen zur Sprache kommt, wird meist abgeblockt – weil eine so komplizierte Materie nicht ins Sendeformat passt und eben mehr verlangt als zwei Minuten Redezeit.

    Ich glaube, lieber Bruder Berke, wir zwei sind ja gar nicht so weit voneinander entfern. Wir wollen beide den offenen Dialog. Beide Gesprächspartner müssen aber erst einmal von dieser anklagenden Haltung weg, weil man sich sonst in einen Teufelskreis begibt, der mehr kaputt macht als Fortschritte bringt.

  18. Lieber Bruder Reinhold, das war ein gutes versöhnliches Schlusswort. Ich denke, dass die Argumente jetzt im Wesentlichen ausgetauscht sind. Wer die Beiträge liest, erhält viele wichtige Gesichtspunkte zum Thema „Gewalt im Islam“ und zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen, die sich ja nicht ausschließen, sondern ergänzen.

  19. Lieber Bruder Reinhold, wir können gerne zusammen ein Glas Mosel-Riesling bei uns in Mülheim an der Mosel trinken. Übrigens ein lohnenswertes Ziel: Unsere Kirchengemeinde gehört nicht nur zu den ältesten der rheinischen Kirche (Reformationsbeginn ab 1523, mit sehenswerten alten Dorfkirchen und einer Simultankirche), auf ihrem Gebiet liegen auch die besten Weinlagen der Mosel.

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