Himmel und Hölle – Gibt es die wirklich und, wenn ja, wo?

12.5.2021

Thorsten Latzel

„Hier liegt N.N. begraben – er ist nicht hier.“ Der Pfarrer aus meinen Kindertagen meinte, dieser Satz sollte auf jedem Grabstein stehen. Der Gedanke ist ...

Hier liegt N.N. begraben – er ist nicht hier.“ Der Pfarrer aus meinen Kindertagen meinte, dieser Satz sollte auf jedem Grabstein stehen. Der Gedanke ist mir hängengeblieben. Er beschreibt gut eine Spannung, die ich im Umgang mit Verstorbenen erfahre: Ich brauche Orte, an denen ich ihrer gedenken kann. Orte, um zu trauern, zu weinen, zu klagen, um Gespräche mit ihnen zu führen, stille zu sein, an sie zu denken. „Lücken-Orte“ ihrer gegenwärtigen Abwesenheit. An denen ihre sterblichen Überreste begraben liegen. Zugleich weiß ich, dass „sie“ nicht hier sind. Ja, ich glaube, hoffe sogar, dass sie es nicht sind. Womit sich natürlich die Frage stellt: Wo sind sie dann?

 

Videobotschaft

 

In dieser Woche feiern wir Christi Himmelfahrt. Jesus Christus war der Erste, dessen Grab mit diesem Satz verbunden ist: „Er ist nicht hier.“ Die Auskunft des Engels an die Frauen, als sie kommen und ihn salben wollten. Mit Himmelfahrt endet die vierzigtägige Zeit, in der nach Lukas der Auferstandene den Jüngerinnen und Jüngern erschienen ist (Apg 1,3). Dann – so heißt es weiter – „wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen.“ (1,9) Damit wäre zumindest klar, wo Jesus Christus ist: im Himmel. Wo auch sonst, will man meinen.

 

Doch nimmt man es genau, ist dies nur die halbe Geschichte. Jesus Christus fährt in den Himmel – und vorher in das „Reich des Todes“, in die Finsternis, die Schattenwelt. So bekennen wir es im Glaubensbekenntnis: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Lateinisch: „descendit ad infernas“ – wörtlich „hinabgestiegen zu den Untersten“. Eigentlich müssten wir daher in dieser Woche die „Höllen- und Himmelfahrt Christi“ feiern. Das mag zunächst etwas seltsam anmuten. Tatsächlich spielt diese doppelte Reise Christi eine große Rolle und wird etwa auf orthodoxen Christus-Ikonen besonders betont. Denn dadurch verwandeln sich alle drei „Räume“, die wir als „Himmel“, „Hölle“ und „Erde“ bezeichnen.

Zunächst zur „Hölle“, genauer gesagt, dem Totenreich, der Schattenwelt, hebräisch der Scheol: Es ist ein Bereich, der vom Leben abgeschnitten ist. Die Finsternis, die Gottesferne. Indem Jesus Christus dorthin hinabfährt, wird ein Doppeltes gesagt: Er ist wirklich gestorben. Es ist der tiefste Punkt, an den er sinken kann. Doch zugleich verändert sich dieser Raum durch Jesus Christus. In Christus kommt Gott selbst in die Gottesferne. Damit bricht das Schattenreich in sich zusammen. Der Tod verschlingt in Christus den Schöpfer allen Lebens und verschluckt sich daran. Das heißt: Für Menschen, die an Christus glauben, gibt es keinen Bereich, an dem sie von Gott getrennt sind. Weil Christus selbst im tiefsten Schattenreich an ihrer Seite ist. Das Totenreich hört auf, ein Raum der Gottesferne und Finsternis zu sein. In Christus implodiert die „Hölle“.

 

Dann zum Himmel, genauer gesagt, dem Reich Gottes. Indem Jesus Christus dorthin fährt, wissen wir: Er hält uns einen Platz frei. Das machen erstgeborene Brüder so. Der Heidelberger Katechismus fragt in einer eindrücklichen Weise „Was nützt uns die Himmelfahrt?“ Dann entfaltet er diesen „Nutzen“ umfassend und sehr schön so: „Erstens: Er ist im Himmel vor dem Angesicht seines Vaters unser Fürsprecher. Zweitens: Wir haben durch unseren Bruder Jesus Christus im Himmel die Gewissheit, dass er als das Haupt uns, seine Glieder, auch zu sich nehmen wird. Drittens: Er, sitzend zur Rechten Gottes, sendet seinen Geist zu uns, der uns die Kraft gibt, zu suchen, was droben ist, und nicht das, was auf Erden gilt.“ In der Himmelfahrt Christi bekommen wir so Raum in Gott selbst, werden einbezogen in das göttliche Liebesgeschehen, das wir als Trinität beschreiben.

 

Und schließlich zur Erde. Indem Jesus Christus in das Reich des Todes und in den Himmel fährt, gibt er uns Raum hier auf Erden. Er macht uns Raum, damit wir in seinem Geist einander zu Christinnen und Christen werden. Zu Erstgeborenen der neuen Schöpfung, zu Menschen, die das Seufzen der anderen Geschöpfe hören und heilsam für andere handeln. In Christus nimmt sich Gott selbst zurück, damit wir Raum gewinnen in ihm.

 

Was heißt das nun für die Frage, wo unsere Verstorbenen sind – im „Himmel“, in der „Hölle“, dem Totenreich oder wo sonst? Durch Christi Tod und Auferstehung verwandeln sich alle diese Räume.

– Das „Totenreich“ verliert seine Schrecken, weil es kein Raum mehr ist, an dem Christus nicht bei uns ist. Gott ist auch hier bei uns. Die Hölle implodiert.

– Der „Himmel“ wird zum Raum, an dem Christus schon auf uns wartet und uns einen Platz freihält. Von diesem Liebesgeschehen her, bildlich gesprochen „von oben“, wird unser Leben bestimmt.

– Und die „Erde“ wird zu dem Raum, den Christus uns lässt, damit wir in seinem Geist leben und für einander zu Christ/innen werden.

Unsere Verstorbenen sind in Christus, geborgen in Gott. Auch wenn dies in unseren Vorstellungen von Raum und Zeit nur schwer auszudrücken ist.


Theologische Impulse (90) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

Bild: plenio auf www.pixabay.com

Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher/

Kontakt: praeses@ekir.de

Beiträge zu “Himmel und Hölle – Gibt es die wirklich und, wenn ja, wo?

  1. Wenn die Hölle implodiert durch das Evangelium, dann gibt es die Spannung Gesetz udn Evangelium nicht mehr. Aus dieser Spannung bestaht aber nach lutherischer Überzeugung der Glaube. im Neuen Testemante findet sich in fast allen Schichten sowohl Himmel und Hölle als auch, dass Gott ist alles in Allem. Wer die Spannugn von Himmel und Hölle durch das Evangelium auflöst, spintiert sich aus dem irdischen Leben heruas und ist berits schon n der Herrlicheit angekommen. Das ist – mit den Reformatoren gesprochen – Schwärmertum. Nach Lther sit nur ein guter Theologe, wer Gesetz und Evangeliuzm recht zu unterscheiden weiß.

  2. Nun, das „Spintisieren“ nimmt und wird auch zukünftig zu diesem Thema kein Ende nehmen.

    Dazu hilft vielleicht der Bibelauslegungshinweis und jeden Christenmrnschen von Prof. Klaus Berger:
    „Der Auslegungen sind gar viele, so viele, wie es Menschen gibt, die die Bibel zu verstehen in ihr lesen. Und eine Auslegung ist dabei dann stimmig, wenn sie uns „zu Christus treibet“ (Martin Luther). Denn wenn sie uns dazu treibt, einander zu hassen, zu verurteilen und umzubringen, dann lag sie daneben.

    Sowie, der Altvater Tadej, der über so etwas wie Hölle und Himmel niemals in den Mund genommen hat.

    Er sprach dazu sinngemäß:

    „Jeder Mensch wünscht sich das Gute zu tun und das Gute ist in jedem Menschen, sonst könnte er es gar nicht vollbringen.
    So wie Christos selbst in uns Platz genommen hat.
    Und gleichzeitig entfernt sich der Mensch täglich davon, da wir in einer zutiefst fehlbaren Welt von Raum und Zeit leben.
    Diesen Bemühungen, um ein Gleichgewicht zwischen dem Guten und dem Abfälligen sind wir in all unsren Tagen in der Welt verfallen.

    Am Ende der Tage jedoch, wird jeder Mensch gerettet und von Christos in Herrlichkeit empfangen werden“.

    Dazu erwähnte der Altvater noch, dass dies auch für Menschen gilt, die von Christos nie etwas erfuhren, gleichgültig, welcher Religion sie angehören.

    Meine Meinung dazu ist, dass dereinst wir alle alles sehen, hören und wissen werden, was uns hier auf Erden nicht zu wissen zugesprochen wurde.

    Beste Grüße in Christos

  3. Ich denke, dass Gott nicht umsonst im 1. Gebot den Passus „Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was unten im Wasser unter der Erde ist“ beigefügt hat.

    Kein Mensch könnte mit seinem Intellekt begreifen, was in der jenseitigen Welt geschieht. Jesus Christus hat mit seiner „Himmelfahrt“ den Weg dorthin aufgezeigt. An ihn glauben, bedeutet ihm auf seinem Weg zu folgen.

    Ich vertraue Jesus Christus, dass er mich zur rechten Zeit ein weiteres Stück Himmel erkennen lässt. Nämlich dann, wenn ich reif genug dafür sein werde. Solange habe ich die Kirche, die mich im Namen des Herrn inspirieren soll.

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