„Vorsicht Mensch, zerbrechlich“ – Mail with care

27.8.2022

Thorsten Latzel

Briefkasten Ich staune wirklich darüber, was für Mails manchmal bei uns im Büro ankommen. Vielleicht kennen Sie das auch. Der Ton ist übergriffig, zum Teil regelrecht ...

Ich staune wirklich darüber, was für Mails manchmal bei uns im Büro ankommen. Vielleicht kennen Sie das auch. Der Ton ist übergriffig, zum Teil regelrecht persönlich verletzend. Nichts gegen sachliche Kritik: Die ist notwendig und wichtig, damit muss man umgehen können. Ich kann es auch gut verstehen, dass es Situationen gibt, in denen jemand seinem Ärger einfach mal Luft macht. Aber dies sollte doch so geschehen, dass ich andere nicht beleidige oder herabwürdige. Wenn ich das Problem anspreche, besonders bei Menschen aus öffentlichen Einrichtungen oder gar der Politik, merke ich, wie stark verbreitet es ist. Vielleicht sollte man Mail-Programme standardmäßig mit dicken, roten Warnhinweisen versehen: „Achtung: Mails, die Sie verschicken, werden von echten Menschen gelesen. Mail with care!“

Die kommunikative Unkultur auf verschiedenen Social-Media-Plattformen ist noch einmal ein ganz eigenes Thema. Verknappung der Zeichen, Wunsch nach Wirkung, eskalationsfördernde Algorithmen und eine ungeschützte Öffentlichkeit führen vielfach dazu, dass Leute sich hier Dinge „an den Kopf posten“, wie man es sonst allenfalls von gestressten Autofahrern im Stau kennt. Wer käme auch auf die Idee, eine auf Verständnis ausgerichtete Diskussion mit Megaphonen auf einem Marktplatz zu führen, während ein unbekanntes Publikum wahlweise applaudiert oder ausbuht? Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat schon 2018 „Die große Gereiztheit“ beschrieben. In unserer durch multiple Krisen gestressten Gesellschaft ist das nicht besser geworden.

Ebenso hilfreich wie heilsam finde ich da manche alten kommunikativen Regeln aus der Bibel bzw. der christlichen Tradition. Etwa Luthers schöne Auslegung des (nach lutherischer Zählung) achten Gebots im Kleinen Katechismus: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“ Wow! Wie sähe unser Netzkommunikation aus, würde das konsequent berücksichtig – „dem nächsten alles zum Besten kehren“.

Oder die Warnung vor der „Macht der Zunge“ im Jakobus-Brief: Sie ist ein kleines Glied, doch kaum zu zähmen; ist wie ein Feuer, welches das ganze Leben in Brand setzt, steckt voll tödlichen Gifts (Kap. 3,1ff). Ach, Jakobus, dabei kanntest Du noch gar keine Shitstorms und Hetze im Netz!

Auch die Briefe des Paulus lese ich vor dem Hintergrund neu. Sie sind ja oft in hoch brisante, emotionalisierte Konflikte hineingeschrieben, etwa bei der Gemeinde von Korinth. Umso mehr bemüht sich Paulus um eine wertschätzende Kommunikation: mit Segenswünschen am Anfang und Ende, dem Ringen um Verständigung, dem Appell an Sanftmut, Demut, wechselseitige Rücksichtnahme, der Erinnerung an den Gott des Friedens und das Vorbild Christi.

Was lässt sich daraus für die digitale Kommunikation unserer Tage gewinnen?

Sieben kleine geistliche Tipps für eine wertschätzende Kommunikation:

1. Schreib keine Mails oder Posts, die Du so nicht selbst empfangen möchtest.
Das ist die einfache Goldene Regel im digitalen Gewand.

2. Wenn Du wütend bist, hüte Dich vor der Enter-Taste.
Schlaf erst einmal darüber – nach dem Frühstück grummelt’s sich anders.

3. Wenn es weiter in Dir rumort, such das persönliche Gespräch.
Reden von Angesicht zu Angesicht hilft mehr als das Drücken der Tastatur.

4. Wenn Du schreibst, sprich Dein Gegenüber mit Namen an.
Sie, er ist ein „Kind Gottes“: einmalig geschaffen, geliebt, verletzlich – wie Du.

5. Versuch, den anderen so zu sehen, wie er oder sie sich selber versteht.
Wahrheit ohne Liebe setzt sich schnell ins Unrecht.

6. Stell Dir vor: Ihr sitzt dereinst einmal gemeinsam „auf derselben Wolke“.

Die Perspektive der Ewigkeit Gottes rückt manche Dinge heilsam zurecht.

7. Und: „Nichts ist so aufreizend wie Gelassenheit“ (Oscar Wilde) – zumal, wenn sie aus innerer Freiheit, Demut, Liebe zum Nächsten erwächst. Heilsame Worte aus einer anderen Zeit.


Theologische Impulse (121) von Präses Dr. Thorsten Latzel

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Beiträge zu “„Vorsicht Mensch, zerbrechlich“ – Mail with care

  1. hate-speach ist extrovertierte Wut und meist Ausdruck von eigener Ohnmacht, wobei diese Ohnmacht mit dem Hassobjekt nicht direkt zusammenhängen braucht.
    Was kann ich mit der Ohnmacht anderer tun? Zunächst nehme ich die Ohnmacht wahr, und kann sie bestenfalls als berechtigt bestätigen.

    Wie hilfreich wäre es, wenn das Opfer der hate-speach zum Ausdruck bringen kann, wie und wie stark es verletzt, und dabei von anderen wahrgenommen wird, damit die Ohmacht nicht einfach nur anderen weitergereicht wird.

    Wie hilfreich wäre es, wenn ich selbst merke, dass meine Wut, die ich anderen entgegen schleudere, aus irgendeiner Ohnmacht kommt, die ich mir womöglich eingebildet habe.

    Wie wohltuend ist es dabei, dass ich mich erinnere, dass ich garnicht ohnmächtig bin, weil ich mich auf Gott verlassen kann.

    Nur ganz selten ist die hate-speach vorsätzlich böswillig taktierend. Dann ist sie Kampf und ich muss anders reagieren.

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