Drei Weisen: ein Adventskalender

Kurze, geistliche Impulse für den Advent in der neuen Corona-Welle postet Präses Dr. Thorsten Latzel hier täglich vom 1. bis zum 24. Dezember. An jedem Tag gibt es immer genau drei Sätze mit persönlich-eigensinnigen Gedanken zu Themen wie Anfangen, Tanzen, Warten, Träumen, Schlafen, Lachen, Beten, Hoffen, Schweigen oder Trösten.

 

24. Dezember: Drei Weisen … zum Ankommen

  1. Wie kommt Gott eigentlich an bei mir: wie ein König – erhaben, mächtig; wie ein Knecht – in verborgener Gestalt; wie eine Knospe – still, leise?
  2. Wie komme ich eigentlich an bei Gott: wie ein Läufer am Ziel – erschöpft, zufrieden; wie eine Raupe – verpuppt, um sich zu wandeln; wie ein Bettler – mit leeren Händen?
  3. Vielleicht gleicht mein Leben den Ankunft- und Abfahrt-Plänen am Bahnhof: Ein immer neues Aufbrechen und Ankommen, mit Zwischenstationen, Verspätungen, manchmal auch Ausfällen – in der Hoffnung darauf, dass Gott, zu dem ich unterwegs bin, unerkannt immer schon mitreist.

 

23. Dezember: Drei Weisen … zum Danken

  1. Das Schöne am Glauben ist, dass ich immer jemanden habe, dem ich danken kann.
  2. Das Gebet ist dabei das „vornehmste Stück“ eines dankbaren Lebens: „Ich danke Dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind Deine Werke, das erkennt meine Seele.“
  3. Mein Leben als Geschenk: kein Gutschein, keine Möglichkeit zum Umtausch, nur mit der Möglichkeit, es auszupacken, zu entfalten, dankbar zu sein.

 

22. Dezember: Drei Weisen … zum Springen

  1. Das Wort „hopsen“ hängt mit hoffen, hopen, zusammen: Hoffnung ist das, was einen wie Kinder vor lauter Vorfreude innerlich hopsen lässt.
  2. Luftsprünge sind die originäre Form, sich im Advent fortzubewegen: einfach mal hochspringen, weil es schön ist, mich verändert, anderes sehen lässt, oder auch nur um zu schauen, was passiert – daher mein Vorschlag: der liturgische Luftsprung im Advent.
  3. Der erste, der im Advent nachweislich hüpfte, war Johannes – als Baby im Bauch seiner Mutter, als diese Marias Gruß hörte, doch ich kann es mir irgendwie kaum vorstellen, dass die Hirten, Weisen oder Engel normal gingen.

 

21. Dezember: Drei Weisen … zum Aufschauen

  1. „Seht auf und erhebt eure Häupter …“ – Advent ist eine Haltungsfrage: Wir üben den aufrechten Gang, in Erwartung des aufgehenden Lichts.
  2. Mein Nacken ist durch ständige Zoom-Video-Sitzungen längst verspannt: Beim Aufschauen sehe ich den Tag vor dem Fenster dahinziehen.
  3. Ich finde, wir sollten alle „Hans-Guck-in-die-Luft“ dieser Welt unter Artenschutz stellen: Was wäre unsere Welt ohne Philosophen wie Thales, der bei Himmelbeobachtungen in den Brunnen fiel, ohne Seher wie Johannes, der auf Patmos einen neuen Himmel und eine neue Erde schaute, ohne Weisen, die sich von einem Stern zu einem Kind führen ließen?

 

20. Dezember: Drei Weisen … zum Zählen

  1. Menschen mit normativer Neigung denken oft digital: 1/0, richtig/falsch, Freund/Feind, gut/böse, schwarz/weiß – das gilt auch für ihre religiösen Vorstellungen, bunt kommt darin regelmäßig nicht vor.
  2. Gott hat, glaube ich, ein Faible für „krumme Zahlen“ wie Pi: irrational, transzendent, eine Zumutung für unsere normierte Welt– sie steht für die schöne Widerständigkeit des Kreises, der sich einfach nicht in Quadrate übersetzen lässt.
  3. Bleibt die Frage, ob Augustus bei seiner Schätzung Jesus Christus erfasst hat – oder ist dem Kaiser dieser ganz andere Friedenskönig bei der Zählung einfach durch die Lappen gegangen?

 

19. Dezember: Drei Weisen … zum Spielen

  1. Als Gott Mensch wurde, ein Kind, tat er das, was Kinder tun: Er spielte mit der Welt – so wie die Weisheit am Anfang der Schöpfung: frei, freudig, neugierig.
  2. Die Geschichten, die dieses Kind später als Erwachsener erzählte, waren Spielanleitungen für das Leben: voll unorthodoxer Ideen, kreativer Regelbrüche aus Liebe – so wie sein eigenes Leben.
  3. Als die Soldaten am Ende um sein Gewand das Los warfen, hatten sie von dem Spiel, um das es ihm ging, nichts verstanden.

 

18. Dezember: Drei Weisen … zum Lesen

  1. Advent als Lesezeit: „Nimm hin und lies!“, mit dem Satz haben viele Veränderungen begonnen – wenn ich von dem, was zwischen den Zeilen steht, berührt, bewegt, verändert werde: das „weiße Feuer“ zwischen dem schwarzen.
  2. Lesen gefährdet, im Idealfall, nicht nur meine Dummheit, sondern auch meine unhinterfragten Einstellungen: Das ist wichtig, gerade für den Glauben – Luther wusste, warum er die Ratsherren dazu aufrief, Schulen zu errichten.
  3. Belesener Glaube, das heißt für mich, sich nicht an Buchstaben zu klammern, sondern im Tanz der Wörter Gottes Geist zu spüren, wenn die Geschichten anfangen, mich zu lesen.

 

17. Dezember: Drei Weisen … zum Fragen

  1. Der Frage wohnt eine Kraft inne, welche die Antwort oft nicht mehr besitzt. (nach Martin Buber)
  2. Am Anfang von Weihnachten steht das Fragen der Weisen und das Staunen der Hirten – beides Vertreter eines unfertigen Lebens: dass dies noch nicht alles war, gewesen sein kann, dass da noch jemand fehlt.
  3. Frequently asked questions (FAQ) in den Evangelien: „Was willst du, dass ich dir tue?“, „Wer sagt ihr, das ich sei?“, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

 

16. Dezember: Drei Weisen … zum Lieben

  1. Liebe, Wahrheit und Gott gehören wohl zu den am häufigsten missbrauchten Begriffen – dazwischen besteht ein Zusammenhang: „Du sollst den Namen Gottes, der Wahrheit und der Liebe nicht missbrauchen.“
  2. Lieben ist etwas völlig anderes als lieb sein: Es heißt, einander offen zu begegnen und Wahrheit zuzumuten, ohne verletzen zu wollen – das gilt auch für die Begegnung mit dem nicht lieben, aber liebenden Gott.
  3. Eine der ersten Fragen eines älteren Pfarrkollegen an Brautpaare war, ob sie gut streiten können: „Die Vorstellung von ständiger Harmonie ist romantisierender Kitsch.“

 

 

15. Dezember: Drei Weisen … zum Schenken

  1. Beschenkt zu werden, ist schön und schwer zugleich, weil ich nichts tun kann, als einfach „danke“ zu sagen.
  2. Auch Glauben ist solch eine Zumutung: dass ich mir mein Leben schenken lasse – gratis, kostenlos, umme, für lau – und einfach „tiefen-dankbar“ bin.
  3. Einmal wird uns die Rechnung präsentiert: für das Meer, die Luft, die Blumen, den Sommer, die Wüste, das Tanzen, den Wein – und Gott wird lächeln und sagen: „Das geht auf mich.“

 

14. Dezember: Drei Weisen … zum Schweigen

  1. Es gibt viele Arten zu beten: klagen, danken, weinen, lachen, singen, tanzen – und schweigen: Gott und meine Seele im intensiven, stillen Dialog.
  2. In der Stille trete ich vor Gott, Gott entfaltet sich in mir und beide gehen wir anders daraus hervor – verborgen, manchmal, hoffentlich.
  3. Stille auszuhalten, kostet Kraft: dass es ruhig wird, ich nichts mache und Gott mit mir schweigt, bis er leise sein Amen zu mir spricht.

 

13. Dezember: Drei Weisen … zum Sterben

  1. Wie ich gerne sterben würde: dankbar für das, was war; in Frieden mit Gott, meinem Gewissen, den anderen; neugierig auf das, was kommt – und dass jemand meine Hand hält.
  2. Also übe ich mich, „abschiedlich“ zu leben, so dass solch ein Sterben einmal dazu passt – und versuche die, die mir bis dahin anvertraut sind, möglichst nicht allein zu lassen.
  3. Vielleicht ist Sterben ein wenig wie Schlafengehen: das eigene Buch zuklappen, meine Brille beiseite legen, einen Abendsegen sprechen und dann darauf trauen, dass Gott mich behütet träumen lässt.

 

12. Dezember: Drei Weisen … zum Berühren

  1. Den anderen in den Arm nehmen wie eine Mutter, ein Vater, ein Freund: Berühren hat eine heilsam tröstende Kraft, wenn ein Mensch mit dem Schmerz in sich nicht alleine bleibt.
  2. Für mich gehören Berührungen zum Christsein: ein Teil des Leibes Christi zu sein, der selbst Kranke, Aussätzige berührte, sich von der Not anderer berühren ließ und am Ende selbst den Schmerz an seinem Körper trug.
  3. Die Bibel schließt mit der große Vision, dass Gott selbst abwischen wird „alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“ (Offb 21,4 f. ) – wenn der auferstandene Christus als „berührter Berührer“ alles neu macht.

 

11. Dezember: Drei Weisen … zum endlich sein

  1. „Ein Mensch blüht wie eine Blume auf dem Feld, wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da …“ (Ps 103,15 f.): Ich blühe eine Zeit, mal mehr, mal weniger prächtig, und weiß, dass ich irgendwann nicht mehr bin, wie auch meine Liebsten – auch, wenn ich’s nicht verstehe.
  2. Meine Endlichkeit ist schrecklich – und sie ist schön, weil sie jedem Augenblick meines Lebens einen einmaligen Wert verleiht: aufgehoben, eingezeichnet in die Ewigkeit Gottes.
  3. Die Annahme, dass danach nichts mehr ist, finde ich zunehmend unplausibel – im Alltag lebe ich anders: Das Wunder, dass es mich, dich, das alles gibt, ruft nach Fortsetzung des Autors – to be continued.

 

10.Dezember: Drei Weisen … zum sich Freuen

  1. „Gott hat mir ein Lachen bereitet“: Davon singen Sara, Hanna und Maria in der Bibel – weil die Geburt ihrer Kinder ein Wunder ist, bei dem sie am Ende nur noch lächeln können.
  2. Das Evangelium von der unbedingten Liebe Gottes ist wie ein guter Witz: Wenn die Pointe einmal wirklich zündet, kann man gar nicht anders, als sich daran zu freuen.
  3. In orthodoxen Kirchen gibt es ein Osterlachen (risus paschalis) als Zeichen des Sieges über den Tod. An Weihnachten gilt es, das raue Gelächter der Hirten neu zu entdecken, dass Christus ausgerechnet zu ihnen als Erstes kam.

 

9. Dezember: Drei Weisen … zum Trösten

  1. Trösten und Vertrösten sind so verschieden wie Himmel und Hölle: Echtes Trösten hält Trauer aus, hat etwas von Trauen und Trotzen, von Mut und Kraft zu widerstehen.
  2. Hiobs Freunde saßen „sieben Tage und Nächte mit ihm in Staub und Asche und sagten kein Wort, weil sie sahen, dass sein Schmerz groß war“ (Hiob 2,13) – was für ein starkes, tröstendes Schweigen.
  3. „Tröstet, tröstet mein Volk“ (Jes 40,1): Das ist so etwas wie der heimliche Taufspruch Jesu.

 

8. Dezember: Drei Weisen … zum Beten

  1. Beten heißt für mich, der Angst nicht das letzte Wort zu lassen, unsere Welt nicht aufzugeben – und ein Wohin zu haben für meine Dankbarkeit.
  2. Ich versuche, mich dabei von meinen Zweifeln nicht durcheinander bringen zu lassen, meine Unfähigkeit zu beten ist Teil meines Gebets: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ (Huub Osterhuis)
  3. Ich dehne also meine Seele, übe mich im Horizont der Ewigkeit Gottes und vertraue darauf, dass Gott uns sieht, hört, hilft, so wie Maria, Zacharias und Simeon es besingen (Lukas 1-2).

 

7. Dezember: Drei Weisen … zum Lachen

  1. Giraffen, Hummeln, Dodos, Springmäuse, Faultiere, Kolibris, Pottwale, Kängurus, Zebras, Koalas und Menschen sind für mich ein starkes Indiz dafür, dass Gott einen feinen Sinn für Humor hat.
  2. Leider haben Religiöse ihren Glauben allzu oft so verstanden, als müssten sie zum Lachen erst in den Himmel und als wären Theologen dabei die Einlasskontrolle für die Ewigkeit – eine Sünde wider die Menschenfreundlichkeit Gottes.
  3. „Wo Glaube ist, da ist auch Lachen“ (Martin Luther) – und sei es über sich selbst, eine im Übrigen allgemein höchst produktive Tätigkeit.

 

6. Dezember: Drei Weisen … zum Hoffen

  1. „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“: Der Täufer ist für mich Inbegriff des Hoffenden schlechthin, der Person gewordene Doppelpunkt.
  2. Die Frage ist, auf wen oder was ich eigentlich hoffe – ob ich noch warten kann und was es mit mir macht: „Ihm konnte den mutigen Glauben / der Hohn des Tyrannen nicht rauben“ (Schiller).
  3. Manchmal, so Gott will, ändert sich in mir beim Hoffen und Warten etwas zum Guten: Widerstandsgeist wächst, eine „brennende Geduld“, im Warten verwandelt mich der Erwartete.

 

5. Dezember: Drei Weisen … zum Schlafen

  1. Schlafen ist vielleicht eine der schönsten Gaben Gottes: es erholt, entspannt, tröstet, heilt – und doch fällt es mir oft schwer, gerade, weil nichts zu machen ist.
  2. Der Tod, so heißt es, sei „Schlafes Bruder“: Schlafen als Übung, das Leben loszulassen, ein allabendliches „memento mori“ – Kinder haben dafür ein Gespür, wenn sie nicht ins Bett wollen.
  3. Als die Engel sangen und die Hirten kamen, lag er in der Krippe und schlief; als der Sturm tobte und die Jünger ruderten, lag er im Boot und schlief; als die Feinde triumphierten und die Frauen trauerten, lag er im Grab und schlief: Was hätte aus dem Mann werden können mit ein bisschen mehr Engagement!

 

4. Dezember: Drei Weisen … zum Träumen

  1. „Dreams are my reality“: Angesichts der Tatsache, dass wir knapp ein Drittel des Lebens schlafen, ist es eigenartig, wie verkürzt wir uns selbst und unsere Wirklichkeit oft verstehen: Träumen gehört zu unserem Wesen.
  2. „… dann werden wir sein wie die Träumenden“ (Ps 126,1): Beim Träumen wie beim Glauben geht es um eine „aktive Passivität“: Ich bin ganz bei mir und doch widerfährt mir etwas.
  3. Ohne Joseph den Träumer kein Weihnachten: Er spricht kein einziges Wort – träumt nur und tut, was Gott ihm sagt, dreimal: „Bleib bei Maria!“, „Werd‘ für sie und das Kind zum Flüchtling!“, „Bring sie wieder heim!“.

 

3. Dezember: Drei Weisen … zum Warten

  1. Warten macht mich wuschig: Telefonschleifen, endlose Staus, Rote-Ampel-Gefühl – hab‘s verlernt, konditioniert darauf, dass es losgeht, wenn ich den Laptop aufklappe: real time communication.
  2. Ich kenne verschiedene Arten zu warten: das unnütze, wenn ich Zeit „verliere“, das schöne, wenn ich in Vorfreude innerlich hopse, das mühselige, lästig, aber notwendig – und das Trainieren von Geduld.
  3. Offen gesagt, mag ich den Advent lieber als Weihnachten, weil es da noch etwas zu warten gibt: Er ist offen, unfertig wie ich selbst, anders als Heiligabend, wenn alles perfekt sein soll und es doch nie ist.

 

2. Dezember: Drei Weisen … zum Tanzen

  1. „Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht mein Glaube, meine Religion, meine Kirche.“
    (in Abwandlung eines Emma Goldman zugeschriebenen Zitats)
  2. Wie trostlos, scheint mir, mag erst ihr Himmel aussehen, wenn manche Frommen schon auf Erden das Tanzen verbieten.
  3. Tanzen ist für mich wie beten mit dem Körper: frei, schön in sich, voll Leidenschaft für die anderen, das Leben.

 

1. Dezember: Drei Weisen … zum Anfangen

  1. Maria war schwanger, als sie aufbrach, Joseph hatte keine Hotelbuchung, die drei Weisen nur die vage Richtung eines Sterns – doch was wäre Weihnachten, wenn sie nicht losgegangen wären.
  2. Aufbrechen: das möchte ich üben im Advent, immer wieder, „Anfänger“ zu werden – mit dem Mut um Gottes und des Menschen willen zu scheitern.
  3. „Wenn er auch stürzte, so scheiterte er doch bei großem Versuch.“ (Ovid über Phaeton)
  • Thorsten Latzel