Das Problem von Weihnachten und die Piefigkeit meiner Neujahrsvorsätze oder: Was es mit Epiphanias auf sich hat

18.1.2019

Thorsten Latzel

Mit Weihnachten habe ich, ehrlich gesagt, ein Problem. Mir geht das Ganze viel zu schnell. Zu glatt. Zu einfach. Auf einmal soll alles gut sein. ...

Mit Weihnachten habe ich, ehrlich gesagt, ein Problem. Mir geht das Ganze viel zu schnell. Zu glatt. Zu einfach. Auf einmal soll alles gut sein. Ist es aber nicht. Die Engel singen, Christus ist geboren. Danach geht’s um 19 Uhr zum Festessen und dann ist Bescherung. Und der Lauf der Welt bleibt, wie er war.

Natürlich besucht man seine Familie, Verwandten, Freunde. Was schön und wichtig ist.

Fährt vielleicht noch Ski. Auch schön und wichtig. Und dann steht schon Silvester an, mit den guten Vorsätzen fürs neue Jahr. Spätestens dann hat es sich aber auch mit dem Weihnachtswunder. Realitäts-Cut. Ab jetzt zählen Pfunde.

Und wie klein und piefig fallen dann in aller Regel meine Vorsätze für das neue Jahr aus – angesichts dessen, was wir an Weihnachten gerade gefeiert haben. Da feiern wir also, dass der Heiland der Welt in einem Stall geboren wird, dass Gott den Himmel auf den Kopf stellt, dass endlich Frieden werde auf der Erde. Und ich nehme mir vor: 5 oder 10 Kilogramm weniger Fett auf den Hüften. Mehr Sport machen und Lesen. Mehr Zeit für mich und die Familie. Auch das alles schön und wichtig. Aber zum Abnehmen, Bücherlesen und Entschleunigen hätte es die Sache mit dem Stall nun auch nicht wirklich gebraucht. Irgendwie bleibt da doch etwas auf der Strecke. Entweder nehme ich meinen eigenen Glauben nicht wirklich ernst. Oder mein Alltag und mein Glauben spielen in unterschiedlichen Sphären, passen beide vielleicht einfach nicht zusammen. Oder ich gebe mich einfach mit viel zu wenig zufrieden.

Nun gibt es im Kirchenjahr ein eigentümliches Fest, das ich lange nicht begriffen habe. Ein Fest, das aber genau mit dem zu tun hat:

der geringen Halbwertszeit von Weihnachten und dem eigentlichen, rechten Maßstab meiner Neujahrsvorsätze. Epiphanias, das Fest der „Erscheinung“ des Herrn.

Für mich war das lange Zeit irgendwie so ein seltsamer Weihnachtsnachklapp. Ein verspäteter Heilig Abend für die orthodoxen Christen. Der 6. Januar mit den „Heiligen Drei Könige“ als katholische Sternsinger-Aktion und als Anlass für politische Partei-Inszenierungen. Als Protestant, noch dazu mit reformierter Herkunft, konnte ich damit ziemlich wenig anfangen.

Tatsächlich zielt Epiphanias aber genau auf die Frage, wie es mit Weihnachten eigentlich weitergeht: Wie es mit unserer Welt, mit meinem Leben danach weitergeht, und was es für meine guten Vorsätze heißt, wenn tatsächlich das Licht im Finstern scheint.

 

Drei Geschichten aus der Bibel werden klassischer Weise am Epiphanias-Fest gelesen und gepredigt.

Die erste ist die Geschichte von den drei Weisen aus dem Morgenland nach Matthäus 2. Landläufig haben wir sie in die Weihnachtsgeschichte von Lukas einfach mit eingebaut.

Und die drei dabei flugs auch kirchlich domestiziert: zu Heiligen, zu Königen (wegen der üppigen Geschenke), zu weisen Männern.

Die Pointe ist aber doch, dass die Magoi (so heißen sie eigentlich: also Astronomen, Sterndeuter, Mantiker) in jedem Fall Heiden waren. Eben keine Heiligen, Frommen, Angehörige des Gottesvolkes. Jesus ist der Christus eben nicht nur für die Rechtgläubigen, sondern auch für die Anders-, Fremd- oder Nicht-Gläubigen. Und die Pointe ist, dass es zugleich auch um die Schöpfung, den gesamten Kosmos geht. „Wir haben seinen Stern gesehen“. Der Lauf der Welt im Großen wird von diesem Lauf der Welt im Kleinen bestimmt. Es ist die Erfüllung der alten Verheißung an das Volk Israels, dass aus ihm das Licht für die Heiden kommen wird. Wenn man Weihnachten nicht in diesen kosmischen Dimensionen denkt, die allen Menschen, der ganzen Schöpfung gilt, die den Lauf der Gestirne verändert, die Licht im Dunkeln schafft und meinem Leben eine grundsätzlich andere Orientierung gibt, bleibt es hoffnungslos unterbestimmt.

Die zweite Geschichte an Epiphanias ist die von der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer im Jordan. Die Geschichte wird von allen Evangelien überliefert. Und sie passt auch bestens zum Thema Erscheinung: der Himmel öffnet sich, der Geist steigt wie eine Taube herab und eine Stimme sagt, dass dieser Mensch Gottessohn ist. Also Epiphanie pur.

Das eigentlich Anstößige ist dabei jedoch, dass Jesus sich überhaupt von Johannes taufen lässt. Darauf weist etwa Matthäus hin, indem er den Täufer sich wirklich mit Händen und Füßen dagegen wehren lässt. Oder der Evangelist Johannes, wenn er das Ganze sogar in ein Bekenntnis des Täufers zu Christus einfassen.

Das Anstößige aber bleibt: Christus steigt in den gleichen aufgewühlten, schmutzigen Fluss wie all die „anderen“, um sich taufen zu lassen. Er geht in die radikale Sünden-Gemeinschaft mit allen anderen, ist selbst als Christus nicht besser sie, sondern genau wie sie auf den Zuspruch, den Geist, die Stimme Gottes angewiesen.

Genauso ist es mit Weihnachten. Es ist für mich nicht zu haben, wenn ich nicht über den Jordan gehe. Ohne die radikale Gemeinschaft mit all den „anderen“ keine himmlische Stimme, kein Geist, kein Gloria in excelsis Deo.

Die dritte Geschichte schließlich ist die Erzählung von der Hochzeit zu Kana. Es ist das erste Zeichen, das der Evangelist Johannes von Jesus überhaupt erzählt. Ein Wandlungswunder. Bei einer Hochzeit passiert das, was schon für normale Gastgeber in unseren unterkühlten Breitengraden der Horror ist, erst recht für eine orientalische Hochzeitsfeier: Der Wein geht aus. Es reicht nicht. Das Fest steht kurz vor dem Ende.

Doch dann geschieht das Unvorstellbare. Wasser wird zu Wein. Es reicht für alle. Das eigentliche Fest beginnt.

Bei Johannes, der als einziger Evangelist keine Einsetzung des Abendmahls berichtet, schwingt hier, gleich zu Beginn von Jesu Wirken bereits etwas von dieser besonderen letzten Mahlgemeinschaft Jesu mit.

Es reicht zum Fest für alle. Und dass es für alle reicht, hat seinen Preis. Auch das gehört zu Weihnachten und zu Epiphanias: dass es die Wunder nicht ohne das Kreuz zu sehen gibt.

Der Glaube an einen anderen Lauf der Welt – das Vertrauen, dass das Licht über die Finsternis siegt – die radikale Gemeinschaft mit all den „anderen“ im gleichen schmutzigen Fluss – ein Fest, dass es für alle reicht – und die Bereitschaft, dass ich mich in der Nachfolge Jesu dafür verändern lasse.

Das sollen meine Weihnachtsvorsätze für das neue Jahr sein. Drunter geht’s nicht. Und meine Frau meint: Bei solchen Vorsätzen nimmt man bestimmt auch ab.

Theologische Impulse 2, von Dr. Thorsten Latzel