Die Auferstehung der Haut. Küchentheologische Reflexionen

10.5.2019

Thorsten Latzel

Zu diesem Impuls muss ich etwas vorwegschicken: Meine Frau ist Religionslehrerin, ich bin Pfarrer. Das kann passieren. Ist auch gar nicht schlimm. Es verleiht unseren ...

Zu diesem Impuls muss ich etwas vorwegschicken: Meine Frau ist Religionslehrerin, ich bin Pfarrer. Das kann passieren. Ist auch gar nicht schlimm. Es verleiht unseren Küchengesprächen nur manchmal eine gewisse theologische Einfärbung. Professionelle Deformation. Und es verkürzt in solchen Momenten die Aufenthaltsdauer unserer Kinder vor dem Kühlschrank ungemein.

Kürzlich beim Ausräumen unseres neuen Geschirrspülers ging es etwa um die Auferstehung Christi.

Also: Ich brate das vegane Hack an, meine Frau öffnet die Tür des Geschirrspülers. Er ist voll.

„Wie nun: War das Grab leer oder nicht? Das hat meine Schüler/innen aus der Elf vor den Ferien wirklich umgetrieben. Was hättest Du denn da gesagt?“

Ich schlucke und verschaffe mir durch geschäftiges Rumrühren in der Pfanne etwas Zeit zum Nachdenken:

„Na ja, ich glaube, man missversteht das leere Grab, wenn man es rein historisch zu begreifen sucht. Das leere Grab ist ja keine hinreichende Bedingung für die Auferstehung Christi. Man kann ja nicht sagen: „Guck, das Grab ist leer. Also muss Christus auferstanden sein!“ Das Ganze ließe sich auch anders deuten. Etwa als Leichendiebstahl. So ja schon in den Evangelien.

Das leere Grab ist aber auch keine notwendige Bedingung für die Auferstehung. Im Sinne von: „Nur, wenn das Grab leer war, kann Christus auch auferstanden sein.“ Damit würde man nicht nur recht klein von Gott denken, der ja gerne mal aus dem Nichts schafft. Man hätte vor allem ein Problem mit unserer eigenen Auferstehung. Denn da sind die Körper dann ja schon zerfallen oder verbrannt.

Wenn Du mich fragst, wie es war: Wir wissen schlicht nicht, wie es historisch war. Das leere Grab ist eine bildhafte Sprache, unhintergehbar metaphorisch. Ein erzählerischer Freiraum im wahrsten Sinn des Wortes, hinter den wir geschichtlich nicht zurückkommen.

Und interessanter Weise führt das leere Grab an sich in den Geschichten ja auch nie zum Glauben. Es braucht immer einen deutenden Engel, der dazukommt. Oder noch genauer: eine Begegnung mit dem Auferstandenen selbst.“

Zwischenzeitlich hat sie das skelettartig aufgereihte Besteck aus dem obersten Fach ausgeräumt. Von meiner Pfanne dagegen steigt verdächtiger Rauch auf. Vielleicht hätte ich doch weiter rühren sollen. Meine Frau schiebt mich mit einem leichten Brauen-Zucken zur Seite. Ich ignoriere diese eklatante Missachtung meiner kulinarischen Kompetenz und wende mich stattdessen dem zweiten Fach des Geschirrspülers zu. Oben auf den Tassenböden sind wieder so kleine blöde Pfützen. Und ich frage mich, warum die Trockenfunktion das nicht schafft. Bleibt nur der Griff zum Handtuch.

„Ja, ja. So habe ich das ungefähr auch erklärt – das mit dem Grab, den Engeln, den Tüchern. Aber was heißt es dann, dass Christus leiblich auferstanden ist?“

Ich tupfe in meditativer Kontemplation weiter die Pfützen von den Tassenböden.

„Nun, ‚Leib‘, griechisch soma, meint ja nicht einfach das, was wir mit Körper meinen. Es geht mehr um mich selbst als ganze Person – in meiner körperlichen Verfasstheit. Als Geschöpf. Also: nicht die ‚unsterbliche Seele‘ oder die ‚Idee‘ von Jesus Christus wird auferweckt, sondern der wirkliche Mensch Jesus mit all seinen Lebenserfahrungen, inklusive seiner Wunden vom Kreuz.“

Von der Pfannen-Fraktion höre ich nur ein leises Brutzeln und ein wenig überzeugt wirkendes Schweigen. Also versuche ich, noch etwas nachzulegen:

„Eigentlich müsste man m.E. sogar genauer von der ‚Auferstehung der Haut‘ sprechen.“

Diesmal bezieht sich das Augenbrauenzucken zu meiner Linken nicht auf mein kulinarisches Geschick.

„Wenn ich mal im elaborierten Sprachstil meiner Schüler/innen antworten darf: ‚Häh?‘ “

„Im Gottesdienst sprechen wir ja: „ich glaube an die „Auferstehung der Toten.“ Das ist natürlich theologische Weicheierei. Im lateinischen Text des apostolischen Glaubensbekenntnisses heißt es carnis resurrectionem – Auferstehung des Fleisches. Das ist wichtig, gerade im Unterschied zu einem dualistischen Denken, etwa in der Tradition Platons. Da ist dann der Leib der ‚Sarg der Seele‘ und im Tod scheidet sich die unsterbliche Seele von dieser vergänglichen Hülle. Damit geht zugleich meistens auch eine Abwertung des Leibes einher, wie eine Geringschätzung der Schöpfung insgesamt.

Dem biblischen Zeugnis entspricht dagegen meines Erachtens eher eine Ganztod-Vorstellung – der ganze Mensch als Leib und Seele stirbt. Ein radikaler Bruch. Die Kontinuität ruht allein in Gott, in dessen Liebe wir aufgehoben, erinnert, bewahrt sind. Es geht so immer um die Erlösung dieser konkreten, leiblich-geistlich-seelisch verfassten Schöpfung.“

Es brutzelt leise weiter, unterbrochen nur vom Klappern der Untersetzer, die ich rausnehme. Zumindest die sind trocken.

„Wobei ich das mit dem Leib schwierig finde, da sich die Atome ja ständig austauschen. Also, wenn schon, hätte ich gerne, dass Gott meinen Leib so auferweckt, wie ich mit 25 war. Höchstens.“

„Und genau bei dem Problem kommt jetzt die Sache mit der Haut ins Spiel. Neulich bin ich nämlich darauf gestoßen, dass auch die Rede von der Auferstehung des Fleisches in der Bibel so nicht vorkommt. Die Stelle, auf die sich das bezieht, ist Hiob 19, 26 – und da ist (zumindest in der griechischen Fassung) von Auferstehung der „Haut“ die Rede.

Es geht bei „Haut“ also um die Kontaktfläche zwischen mir und der Welt. Das, was in Gott von mir bewahrt, aufgehoben, erinnert ist, ist nicht irgendeine Idee von mir. Sondern alle Liebe, die ich von anderen erfahre oder anderen tue – wie auch alles Leiden, das ich von anderen erfahre oder ihnen zufüge. Beides ist eingezeichnet auf meiner Haut als der kommunikativen Kontaktstelle zwischen der Welt und mir. Neudeutsch würde man hier von einem embodiment sprechen: Die Küsse und Lügen auf meinen Lippen, das Streicheln und die Schläge auf meinen Rücken, die Lachfalten und die Griesgrämigkeit um meine Augen. Das alles ist eingegangen in meinen Körper.“

„Du meinst, bei der Auferstehung des Fleisches geht es um eine Art Lebensstenogramm auf unserer Haut?“

„Genau. So wie auch der auferstandene Christus noch die Wundmale des Kreuzes trägt. Wenn meine Haut aufersteht, so bekommt alles, was ich tue und was mir getan wird, eine ewige Bedeutung. Ich bin nicht denkbar ohne die eingezeichneten Erfahrungen auf meiner Haut. Es ist nicht egal, was meine Hände tun oder mit ihnen getan wird, was meine Augen sehen, was meine Lippen sagen. Das alles geht als Teil meiner körperlichen Erfahrung mit ein – verwandelt, erlöst, befreit – in die ewige Liebeswirklichkeit Gottes.“

„Alles?“

„Ja, glaube ich schon.“ Diesmal habe ich ihr Brauenzucken einen Moment zu spät bemerkt.

„Du meinst, auch alle liegen gelassenen Socken, alle vollen Mülleimer, alle Krümel …?“

„Na ja, irgendwann ist natürlich auch so eine Haut mal vollgeschrieben.“

„So, so.“

„Genau. So, so.“

Theologische Impulse 18, von Dr. Thorsten Latzel