Flowerpower. Wie die Blumen auf dem Felde

8.3.2020

Thorsten Latzel

Kirchenjahreszeitlich wirken Blumen zwar etwas deplaziert, jetzt in der Passionszeit, wenn es in den Gottesdiensten auf Abendmahlstischen und Altären oftmals kahler wird. Und auch das ...

Kirchenjahreszeitlich wirken Blumen zwar etwas deplaziert, jetzt in der Passionszeit, wenn es in den Gottesdiensten auf Abendmahlstischen und Altären oftmals kahler wird. Und auch das Wetter draußen lässt nicht gerade blumige Gedanken und Frühlingsgefühle aufkommen. Doch die Wetterkundler, die Meteorologen, kümmert das wenig. Sie machen es sich einfach und setzen den 1. März als Frühlingsanfang fest – auch wenn noch die eine oder andere Schneeflocke fallen sollte. Und spätestens am 20. März fängt der Frühling auch kalendarisch an. Die Länge von Tag und Nacht sind einander gleich. Von nun an ist mehr Licht als Dunkel zu sehen. Anlass genug, diesen theologischen Impuls einmal den Blumen zu widmen.

Schaut man in der Bibel nach, wo dort Blumen vorkommen, so stellt man fest, dass sie in ihr ziemlich schlecht abschneiden. Nur an wenigen Stellen ist überhaupt von Blumen die Rede – und dann zumeist in einem kritischen Sinn. Und das, obwohl das Land Israel jedes Frühjahr prächtige Blüten trägt. Die biblische Blütenlese fällt dagegen mager aus. Geradezu ein floristischer Sündenfall.

Von Gärten ist zwar an zentralen Stellen die Rede: Der Garten Eden ganz am Anfang beschreibt das Ideal irdischen Daseins. Jesus wandelt in den Passions- und Ostergeschichten durch Gärten. Und in der Offenbarung, ganz am Ende, wird die künftige Herrlichkeit als Garten vorgestellt, bewässert von einem Strom lebendigen Wassers, der von Gottes Thron ausgeht.

Auch Bäume kommen häufig vor: Etwa der Baum des Lebens oder der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse in besagtem Garten Eden. Von den Nachbarvölkern Israels werden die Bäume als Sitz von Göttern kultisch verehrt. Mit ihrer Langlebigkeit und Beständigkeit werden sie zum Sinnbild für das Leben des Glaubenden.

Aber die Blumen kommen recht schlecht weg. Zu kurzlebig: gestern noch auf dem Feld, heute in der Vase, morgen schon auf dem Kompost. So werden sie zum Zeichen des Vergänglichen, zum Bild für die Flüchtigkeit des menschlichen Lebens.

Etwa: „Der Mensch geht auf wie eine Blume und fällt ab,
flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“ (Hiob 14,2)

Oder: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
er blüht wie eine Blume auf dem Felde,
wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da
und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.“ (Psalm 103,15f.)

Schönheit wird ihnen zugestanden, sicher. Aber leicht hat es dann auch immer den Beigeschmack des Eitlen: So viel Farbenpracht für so kurze Zeit – und alles nur, um damit ein paar Bienen anzulocken.

Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Jesus neben den Spatzen auch noch die Blumen förmlich ins Predigeramt einsetzt. An einer der seltenen „blumigen“ Stellen des Neuen Testamentes, in der Bergpredigt, heißt es:

„Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen:
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit
nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet,
das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird:
Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?“ (Matt 6,28-30)

Blumen als Predigerinnen, als Vorbilder für den Glauben, dafür, wie wir als Glaubende leben sollen. Dieses Mal, dieses eine Mal nicht die schweren, ernsten Bäume mit ihrer Beständigkeit, ihrer Festigkeit, ihrer tugendhaften Fruchtbarkeit. Sondern die leichten, unbedarften Blumen, diese Tagträumerinnen, diese Schöngeister, diese Künstlerinnen des Lebens: Sie blühen, duften, sind einfach nur schön – und erfreuen alle, die sie ansehen.

Blumen als Predigerinnen, sie predigen eine sorglose Leichtigkeit: „Sieh, wie schön Gott dich gemacht hat. Freu dich an deinen Farben. Nimm deinen lieblichen Duft wahr. Entfalte deine ganze Blütenpracht. Und lass das Sorgen mal ruhig Gott machen, das ist Schöpfersache.“ Diese stillen, schönen Predigerinnen, sie lehren uns die „Blumensprache“ des Evangeliums neu zu verstehen: dass wir frei und unbedarft als Blumenkinder Gottes leben dürfen und dass die Kirche mit ihren verschiedenen Frömmigkeits-Blüten ein bunter Blumengarten Gottes ist.

So weit, so lieblich, so nett. Ich glaube, Jesu Lilien-Spatzen-Vergleich bleibt aber hoffnungslos unterbestimmt, so lange man ihn nur als floristisches Wohlfühlwort versteht, ein himmlischer Fleurop-Gruß von hoher Poesiealbum-Affinität. Ein bisschen „Carpe diem“ (Horaz), ein bisschen „Sorge dich nicht – lebe“ (Dale Carnegie), ein bisschen Bergpredigt – was ja alles nicht verkehrt ist, irgendwie doch das Gleiche meint und schön zusammen gebunden dann auch nicht weiter wehtut. Dabei übersieht man nur die subversiven Pointen. Schon, dass hier einer spricht, der im nächsten Atemzug Feindesliebe, bessere Gerechtigkeit und Vollkommenheit fordert und am Ende am Kreuz landet, sollte einen davor warnen, in eine Wellness-Verständnis-Falle zu tappen. Dieser kleine Text hat es in sich.

Denn es sind ja die Herrschenden, die Mächtigen, die Vornehmen, deren Rolle als soziales Leitbild Jesus hier in Frage stellt: „Salomo in all seiner Herrlichkeit“. Salomo, der weise, reiche, schöne König par excellence: Er ist nicht nackt, aber eben bei weitem nicht so schön wie eine einfache, beliebige Blume auf dem Feld. Wenn Kleider Leute machen und soziale Unterschiede symbolisieren, bedeutet Sorglosigkeit hier mehr als modische Indifferenz. Manche Naturvergleiche sind weniger harmlos, als sie auf den ersten Blick daherkommen.

Aber nicht nur die Kleidung der Mächtigen wird ihrer Faszination beraubt. Die Zuhörerschaft Jesu (bzw. die Leser/innen des Textes) werden zudem an die radikale Vergänglichkeit der Herrschenden erinnert. Das ist etwas, was man nicht so gerne hört, wenn man selber regiert. Statuen, Münzen, Prunkbauten legen Zeugnis von den Versuchen ab, den eigenen Tod überdauern zu wollen. Auch da vermittelt das Bild vom Gras, „das morgen in den Ofen geworfen wird“, andere, subversive Assoziationen.

Endlich beinhaltet das Bild eine Kritik am Leistungsprinzip. „Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.“ Und sehen trotzdem besser aus. Das klingt nach einer floralen Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral. Ist aber nicht weniger als die Proklamation einer radikal anderen Wirklichkeit, eines anderen Reichs, einer anderen Gerechtigkeit. Einer Wirklichkeit, in der den Armen der Himmel gehört, Leidende getröstet werden, Sanftmütige das Sagen haben, der Hunger und Durst nach Gerechtigkeit gestillt wird, Menschen mit einem liebenden, guten Herzen nicht enttäuscht werden, Friedenfertige bei Gott zu Hause sind und alle Unrecht ein Ende hat.

Die ständige Sorge um sich selbst, so die spitze Aussage hier, ist einer der Gründe dafür, dass das alles nicht geschieht. Auf dieser Säule ruhen Ungerechtigkeit, Gewalt und Leid in unserer Welt. Sich daran von den Lilien und Spatzen erinnern zu lassen, ist mehr als wichtig. Echte protestantische Flower-Power. Aber nichts für das Poesie-Album der Kleinen.

Wie die Blumen auf dem Felde

Sei Distel für Mächtige
sei Rose für Verliebte
sei Lilie für Trauernde
sei Kalla für Künstlerinnen
sei Mohnblüte für Träumer
sei Tulpe für Freundinnen
sei Sonnenblume für Glückliche
sei Vergissmeinnicht für Getötete
sei Ranunkel für Charmante
sei Nelke für Revolutionärinnen
sei Iris für Hoffende
sei Brennnessel für Hartherzige
sei Jasmin für Feinfühlige.
Sei Blüte, Dorne, Wurzel, Knolle, Blatt und Stiel.
Kleide Dich in Blütenpracht.
Sei alles, nur nicht
blasses Gras
oder hohles Stroh. (TL)

Theologische Impulse 53, von Dr. Thorsten Latzel