Mumpitz, Firlefanz und Kokolores. Von verschollenen Wörtern, Bullshit und der Zerstörung zwischenmenschlichen Vertrauens

27.9.2020

Thorsten Latzel

Symbolbild "fake" In früheren Zeiten gab es wunderschöne, wirkmächtige Wörter, wenn man ausdrücken wollte, dass ein anderer Mensch gerade Unsinn verzapfte – etwa: – „Mumpitz“: eigentlich eine vermummte ...

In früheren Zeiten gab es wunderschöne, wirkmächtige Wörter, wenn man ausdrücken wollte, dass ein anderer Mensch gerade Unsinn verzapfte – etwa:

„Mumpitz“: eigentlich eine vermummte Schreck-Gestalt, die Kinder und einfältige Narren ängstigte; ein Lieblingswort des früheren SPD-Genossen Herbert Wehner als Reaktion auf Journalisten-Fragen;

„Firlefanz“: für alberne Possen, Ausflüchte und unnötiges Gehabe; hergeleitet wohl vom altfranz. virelai „Wiegenlied“, Luther nennt einen Firlefanzer jemanden, der mit Worten umher träumt;

„Kokolores“: soviel wie Geschwätz oder Prahlerei; der lautmalerische Begriff hängt mit Kuckelöres bzw. Kikeriki zusammen und bezeichnet Leute, die wie ein aufgeplusterter Hahn herumkrakeelen.

Die Liste der alten, mitunter verschollenen Wörter für menschengemachten Unsinn ließe sich noch weiter verlängern: Humbug, Kappes, Kladderadatsch, Schmarrn, Schmus, Nonsens, Dumfug, Papperlapapp, Pillepalle, Quatsch, Quark, Heckmeck, Irrwitz, Kohl, Sottise, Driss, Blödsinn, Hafenkäs, Aberwitz, Schmonzes, Hokuspokus, Bockmist, Gewäsch, Tinnef, Stuss. Besonders schön finde ich etwa noch „Larifari“ – nach den Brüdern Grimm bezeichnet es die „zurückweisung eines leeren geredes“, „das wort selber müssen wir als eines sinn entbehrend ansehen“. Es leitet sich ab von den Merksprüchen für italienische Tonbezeichnung („La – re – fa“ als d-moll-Dreiklang). Wie kläglich blutleer wirkt es dagegen, wenn heute von „alternative facts“ oder „fake news“ gesprochen wird. Um hier aber nicht allzu kulturpessimistisch zu klingen: Das Internet bietet – nicht zuletzt auf Wikipedia – lexikologische Nischen, in denen solche Archaismen glücklicherweise überdauern. Wer Augen hat zu lesen, der lese.

Die Vielgestalt alter Begriffe für „Un-Sinn“ und „Wider-Sinn“ ist dabei wichtig. In ihr spiegelt sich die virale Mutationskraft, mit der solche Unsinnigkeiten in immer wieder neuer Gestalt auftreten. Die aktuellen Verschwörungstheorien sind dafür ein ebenso eindrückliches wie erschreckendes Beispiel. Zugleich bieten sie verschiedene Strategien, um Irrsinn als das zu entlarven, was er ist. Etwa indem sie veranschaulichen, wie sinnleer manches Wortgeklingel ist (Pillepalle, Papperlapapp), bei welchen Gelegenheiten früher solche Gerücht entstanden sind (Gewäsch, Kohl, Quark), oder einfach, wie sie persönlich zu bewerten sind (Dumfug). Gerade dem Jiddischen verdanken wir dabei starke Ausdrücke – wohl auch deshalb, weil es sich immer wieder mit sprachlichem Witz antisemitischen Widersinns erwehren musste.

Das Buch des US-amerikanischen Philosophen Harry G. Frankfurt „On Bullshit“, ursprünglich ein Aufsatz aus dem Jahr 1986, wurde 2005 zum Bestseller. In ihm setzt sich Frankfurt mit einer speziellen Form des Unsinns und Widersinns auseinander, nämlich einem prätentiösen, hohlsprechenden Gerede, das durch Werbung und PR-Arbeit auch in der Politik Einzug gehalten hat. Im Unterschied zur Lüge als einer sachlichen Unwahrheit zeichne sich Bullshit dadurch aus, dass das Verhältnis zu so etwas wie einer Realität oder objektiven Fakten letztlich egal sei und es einzig auf die eigene Selbstdarstellung ankomme. Das klingt geradezu prophetisch im Blick auf die Politik, die wir in den letzten Jahren durch Trump oder Boris Johnson erleben mussten – und macht deutlich, wes Geistes Kind dieser demokratiezersetzende Politik-Stil ist.

Was macht das eigentlich mit einer jungen Generation, unseren Kindern und Enkeln, wenn sie tagtäglich in den Nachrichten nicht nur miterleben, dass Politiker lügen (so etwas kommt vor). Sondern dass es ihnen schlicht egal ist, wenn sie damit öffentlich konfrontiert werden – und sie es dann im Sinne ihrer eitlen Selbstdarstellung einfach umbenennen? Harry Frankfurt: “Bullshit is a greater enemy of the truth than lies are.” Steht ein „Lügner“ im inhaltlichen Widerstreit zur Wahrheit, so zerstört – nach Frankfurt – ein narzisstisch-prätentiöser „Bullshiter“ das Vertrauen, dass ein Bezug auf so etwas wie Wahrheit überhaupt von Bedeutung ist. Und untergräbt damit das Fundament, auf dem unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung und unser Rechtsstaat beruhen. Dass ein Mensch wie Trump als Präsident nachgewiesener Maßen notorisch lügt, ist schlimm. Die eigentliche Gefahr besteht jedoch darin, dass wir uns kulturell daran gewöhnen. Es darf uns nicht egal werden.

Die evangelische Kirche versteht sich selbst als „Kirche des Wortes“. Für das protestantische Glaubensverständnis ist das Verhältnis von Verheißung (promissio) und Vertrauen (fiducia) grundlegend. Gott verspricht und als Menschen verlassen wir uns darauf. Darauf, dass Gottes Wort gilt. Dass Gott uns in seinem Wort selbst begegnet. Und dass das Wort so wirksam unser Leben verändert: „So kommt der Glaube aus dem Hören, das Hören aber aus dem Wort Christi.“ (Röm 10,17) Für Christinnen und Christen, gleich welcher Konfession, ist es daher undenkbar, dass auch ihre eigene Rede keine Bedeutung haben könne: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen.“ (Mt 5,37) Als Christ scheitere ich – wie andere Menschen auch – immer wieder an diesem Anspruch: biege mir die Wahrheit zurecht, kaschiere, flunkere mich durch, täusche mich selbst und andere. Die großen und kleinen Unwahrheiten des Alltags: angefangen bei meinem Umweltverhalten („Nicht so schlimm.“), über die Gespräche über andere hinter deren Rücken („Wie schlimm, wie schlimm.“), bis zu manchen richtig fetten Lügen („Selbst für mich schlimm.“) Das ist so. Und das ist nicht gut. Was aber nicht geht, ist, dass ich mich damit abfinde. Dass mir Lüge und Wahrheit „gleich-gültig“ werden. Dass ich mich nicht mehr darum bemühe, meine Zusagen anderen gegenüber zu halten. Dass ein Versprechen, dass ich gebe, für mich jede Bedeutung verliert: „Ich liebe dich. Ich werde für dich da sein. Du kannst dich auf mich verlassen.“ Wir können daran scheitern, und werden dies auch. Immer wieder. Aber wir dürfen nicht aufhören, an die Verlässlichkeit von Versprechen zu glauben: bei Gott, bei uns selbst und bei anderen.

Es gilt demnach nicht nur der Rechtsgrundsatz: „Verträge sind zu halten“ (pacta sunt servanda). Sondern auch der tieferliegende, unser zwischenmenschliches Vertrauen begründende Glaubensgrundsatz: „Dies ist gewisslich wahr und ein Wort, des Vertrauens wert“ (1. Tim 1,15). Eine Kurzumschreibung für das Evangelium als „Anti-Bullshit“ (im oben dargelegten Sinn). Das Evangelium (als „Wohl-Wort“) handelt von dem einen Menschen Jesus von Nazareth: ein Mensch, der in, mit, aus der unbedingten Liebe Gottes lebte – und so für andere zur Liebe Gottes in Person wurde. Ein Mensch, der andere heilte, tröstete, stärkte und sich dabei bis ans Kreuz miterleben – als Gegenbild jedes prätentiösen Narzissmus. Der Mensch, mit dem Gott sich ein für alle Mal selbst identifizierte und in dem sich Gott gegen alles stellte, was uns von seiner Liebe trennt, selbst gegen den Tod. Das ist es, worauf wir als Christen vertrauen, warum wir selbst Christen heißen. Und was uns dazu anleitet, so zu reden und zu leben, dass es für andere vertrauenswürdig ist. Allem Mumpitz, Firlefanz und Kokolores zum Trotz.

Feiner als Gold

Damit Du mir
und wir einander
vertrauen können,
will ich meine Worte
hüten und wägen
wie einen kostbaren Schatz.
Und zur Not lieber schweigen.
Weil ich sonst nicht nur sie verliere,
sondern auch Dich und uns.
Und das Vertrauen
ins Vertrauen. (TL)

Theologische Impulse 69, von Dr. Thorsten Latzel

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