Nächte aschenen Schweigens oder: Dem Anderen im Leid ein Freund sein

22.2.2019

Thorsten Latzel

Welche Person können Sie eigentlich in der Bibel am wenigsten leiden? Den Brudermörder Kain? – Den grausamen König Herodes? – Den Verräter Judas? Die drei gehören ...

Welche Person können Sie eigentlich in der Bibel am wenigsten leiden? Den Brudermörder Kain? – Den grausamen König Herodes? – Den Verräter Judas?
Die drei gehören sicher zu den unbeliebtesten Gestalten in der Bibel. Was verständlich ist, aber auch irgendwie schade. Handelt es sich doch bei ihnen durchweg um hoch interessante Charaktere. Erzähltheoretisch würde man von Trickster-Figuren sprechen: Figuren, die irgendwie zwischen Gut und Böse changieren. Personen, zwischen über-menschlicher Macht und untermenschlichem Trieb. Die etwas Anderes sind, als sie zu sein vorgeben. Und die gerade so eine zentrale Rolle für den Verlauf der Geschichte spielen. Wie hätte etwa die Passion und Ostern funktionieren sollen, wenn Judas nicht gewesen wäre? Walther Jens hat das in seinem Buch „Der Fall Judas“ schön beschrieben.

Auch Paulus schneidet ja bei vielen Religiösen wie Nicht-Religiösen nicht sonderlich gut ab. Zu fundamental, freudlos, frauenfeindlich. Blöd nur, dass das halbe Neue Testament von ihm stammt.

Doch wie steht es eigentlich mit den internationalen Freunden Hiobs? Elifas von Taman, Bildad von Schuach, Zofar von Naama. Auch sie hätten – würde man ein Beliebtheits-Ranking bei den biblischen Gestalten machen – einen kanonischen Kellerplatz sicher. Von dem nervigen verspäteten Jüngling Elihu ganz zu schweigen. Sie stehen gleichsam als In-begriff für abstrakte Theologen. Für dogmatische Weisheitslehrer, die in der schrecklichen Richtigkeit ihrer Lehre am Leid des Einzeln vorbeigehen. Für Freunde, die dann, wenn man sie selber braucht, nur kluge Ratschläge haben. Und die sich darin nicht nur an ihrem Mitmenschen, sondern auch an Gott schuldig machen. Weil sie tragischer Weise gerade im Versuch, richtig von Gott zu sprechen, Gott selbst widersprechen. Am Ende des Hiob-Buches werden die Freunde denn auch von Gott höchstpersönlich kritisiert – und auf die Fürbitte Hiobs verwiesen, die sie eben nicht für ihn geleistet haben.
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och halt! Nicht so schnell. Wenn man so urteilt, wird man selbst schnell zum frommen Besserwisser. Und man sollte immer vorsichtig sein, wenn ein Theologe einen Theologen einen Theologen schimpft. Es ist vielleicht doch kein Zufall, dass den Freunden in der Bibel ganze Kapitel lang Raum gegeben wird, um ihre Sicht der Dinge zu entfallen. Gar so dumm scheint es mithin nicht zu sein, was sie zu sagen haben. Nur wer hier geliebt hat, darf hier hassen.

Insofern: Versuch einer Apologie der Freunde Hiobs – und eine Suche danach, wie wir im Leid dem anderen Freund sein können.

1. Nächte aschenen Schweigens

„Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie waren eins geworden hinzugehen, um ihn zu beklagen und zu trösten. Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“

Was für ein starkes Bild! Die Freunde, Personifikationen der internationalen Weisheit, kommen aus den verschiede-nen Weltgegenden zusammen – geeint nur durch den einen Wunsch, ihren Freund zu trösten und ihn zu beklagen. Ihn in der Not nicht allein zu lassen und seinem Leid ihre Stimme zu geben. Seine Trauer und Schmerz haben ihn bereits so entstellt, dass sie ihn nicht wiedererkennen. Sie machen sich ihm gleich, zerreißen ihre Kleider, werfen Staub auf sich.

Und dann sitzen sie sieben Tage und Nächte nur da, ohne ein Wort zu reden:
„denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war“.

Sieben Tage mitleidendes Schweigen. Nicht nur ihrer Weisheit, auch ihren Klagen hat es die Stimme verschlagen. Ohnmächtig sitzen sie da im Angesicht des entstellten Freundes. Eine Fähigkeit zum Schweigen, die uns in der „Kirche des Wortes“ oft abhandengekommen ist. Erst recht in einer Zeit digitaler Dauerberauschung. Nur wer hier geschwiegen hat, darf dort reden. Die Kunst „mit-leidend zu schweigen“ – das macht die Freunde aus.

2. Auf die Frage des Anderen Rede und Antwort stehen

„Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Und Hiob sprach:“
Das erste Wort nach dem Schweigen spricht der leidende Freund. Er bricht die Stille: Er fragt und klagt, hadert und streitet mit dem Leiden, dem Leben, mit Gott. Er verflucht den Tag seiner Geburt, seine gesamte Existenz:

„Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! … Warum bin ich nicht gestorben im Mutterschoß? Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? … Warum gibt Gott das Licht dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen, die auf den Tod warten, und er kommt nicht, und nach ihm suchen mehr als nach Schätzen …?“

Er wünscht sich, die gesamte Schöpfung rückgängig zu machen.

Und die Freunde antworten ihm: Kein postmodernes Perspektivengeplänkel. Kein billiges Ausweichen „Ich weiß es auch nicht“. Sondern Antworten: Klare, konkret Antworten. Und es ist grundsätzlich keineswegs dumm, was sie sagen:
• dass Menschen aus Leiden lernen können,
• dass Leiden auch mit dem zusammenhängen können, was Menschen tun,
• dass der Mensch Gottes Handeln nicht begreift.

Letztlich aber scheitern alle ihre weisheitlichen Antworten. Die Frage hat eine Kraft, die die Antwort nicht mehr besitzt. Eine Frage als Akt der Klage lässt sich nicht inhaltlich beantworten. Vor allem werden sie dem Leiden ihres Freundes nicht gerecht. Und auch nicht dem sinnlosen Leiden von unzähligen Menschen in der Geschichte der Menschheit seitdem.

Doch was wäre eigentlich gewesen, wenn sie geschwiegen hätten? Wer hätte Hiob den notwendigen Widerstand, den er brauchte, als Gott schwieg und sich ihm unbegreiflich entzogen? Wer wäre sein Gegenüber gewesen, mit dem er streiten konnte? An wem hätte seine Aggression sich entfalten können, um für die Begegnung mit Gott im Wetter-sturm gerüstet zu sein? Die Freunde als geistliche Sparringspartner für die Konfrontation mit dem Höchsten. Die Freunde werden schuldig, indem sie reden. Indem sie so von Gott reden, als wüssten sie es besser als er selber. Als hätten sie die Wasserwage gehalten, als Gott die Welt gründete. Aber zu schweigen, wäre keine Lösung gewesen. Weil auch jedes noch so beredete Schweigen auf die Dauer zu einer Todesstille wird.

Dem anderen ein Gegenüber zu sein, wenn Gott sich entzieht – das macht die Freunde aus. Auch auf Kosten eigener Schuld.

Und 3. Die Fürbitte des Anderen

„Die Worte Hiobs haben ein Ende. Da hörten die drei Männer auf, Hiob zu antworten, weil er sich für gerecht hielt.“

Am Ende hören die drei Freunde auf zu reden und lassen Hiob das letzte Wort. Nur der zornige, junge Elihu meint es besser zu wissen. Und redet ohne Punkt und Komma in vier langen Reden auf Hiob und die Freunde ein. So wie es immer einen gibt, der meint, es noch besser zu wissen.

Und als Gott Elifas und die beiden anderen hart zurechtweist, tun sie Buße, bringen Opfer und bitten Hiob um seine Fürbitte. „Und Gott erhörte Hiob“.

Das ist die Hoffnung aller Pfarrerinnen, Priester, Rabbis und Imame. Aller Christen, Juden und Muslime: dass Gott die Fürbitten für sie erhört, weil sie nicht recht von ihm geredet haben – aber Schweigen keine Lösung gewesen wäre. Interessant ist dabei die Umkehrung der Rollen: Der Freund, den die anderen trösten und beklagen wollten, wird zu ihrem Fürsprecher. Auch das macht die Freunde aus: zu erkennen, dass man auf die Fürbitte des Anderen angewiesen ist. Vor allem da, wo man sie selber dem Anderen schuldig geblieben ist. Das wäre vielleicht die eigentliche Antwort der Freunde an Hiob gewesen: wenn sie für ihn mit Gott gestritten hätten statt ihn über Gott belehren zu wollen.

Gott bleibt im Hiob-Buch die Antworten auf die klagenden Fragen Hiobs schuldig. In seinen beiden Reden im Wetter-sturm stellt Gott selbst Fragen anstatt Hiob zu antworten. Und fast klingen sie, als klagte Gott dem Menschen die Einsamkeit in seinem schöpferischen Wirken und seinem Kampf mit den Chaosmächten.

Umso wichtiger sind wohl die Freunde:
die mit Hiob Tage und Nächte schweigen;
die mit Hiob streiten, als Gott sich entzieht.
und die am Ende Hiob für sich in ihrem notwendigen Scheitern beten lassen.

Es sind, so meine ich, theologische Trickster-Figuren, die in ihrer klugen Weisheit schrecklich irregehen und an Hiob und Gott schuldig werden. Aber gerade so tragen sie wider klugen Wissens zum Guten bei. Und vielleicht ist dies der eigentliche Weg, um an Ende wie Hiob ein Freund Gottes zu werden. Indem man wie er die offenen Fragen Gottes mit Gott aushält.

Theologische Impulse 7, von Dr. Thorsten Latzel