Pressemitteilung

„Licht in Sicht“ – oder: Meine persönliche Weihnachtshoffnung

Theologische Impulse 154 von Dr. Thorsten Latzel

  • Nr. Pressemitteilung
  • 24.12.2024
  • 5716 Zeichen

2024 hatte es in sich. Ukraine, Israel/Palästina, Syrien, die zweite Wahl Trumps, das Ampel-Aus. Jetzt Wahlkampf im Advent – das klingt wie ein Plan zur Abschaffung der Stille. Kolleg/innen und Kinder sind wahlweise virengeplagt, jahreserschöpft oder weihnachtsreif. Und dann ein Dezember, der sich wie der neue November anfühlt. Kalter Regen im Dauergrau. Da helfen irgendwann auch kein Vitamin-D, keine Lichtduschen oder Spaziergänge mit dem Hund mehr. Bei all den Krisen in diesem Jahr bekommen die alten Verheißungen von Advent und Weihnachten für mich einen ganz neuen Klang.

„Mache dich auf und werde licht. Denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.“ (Jes 60,1) Ja, ich glaube, unsere Welt braucht Licht, viel mehr Licht. Ein Licht, das wir selbst nicht machen können, das auch in dunkelsten Nächten scheint und Menschen Hoffnung gibt. „Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und reitet auf einem Esel.“ (Matt 21,5) Ja, ich glaube, wir brauchen Politikerinnen und Verantwortungsträger, die Haltung zeigen und anders sind: gerecht, hilfreich für andere, bescheiden. Und die den Mut haben, sanft zu sein. Sanftmütig – was für ein herrlich altes Wort. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Luk 21,28) Ja, ich glaube, wir brauchen eine Änderung unserer Haltung. Ein inneres wie äußeres Aufrichten. Eine Hoffnungsperspektive, dass es am Ende gut wird.

Dazu hatte ich kürzlich eine Diskussion mit unserer ältesten, erwachsenen Tochter. „Papa, ist dieses ganze Reden von Licht, Hoffnung, Weihnachten nicht schrecklich naiv? Schau dir doch nur einmal die Nachrichten an.“ Und es stimmt: Wenn man Zeitung liest, sich die Nachrichten ansieht, gibt es wenig Grund zum Hoffen. Eine ewig lange Liste von Krisen, Krieg, Gewalt. Sie kennen sie alle viel zu gut. Doch das ist nur die eine Seite. Daneben gibt es eine andere Geschichte der Hoffnung. Sie zieht sich wie ein goldener Faden seit diesen alten Verheißungen durch die Jahrhunderte. Dass Gott uns nicht mit uns selbst allein lässt. Dass Gott Mensch wird – und uns hilft, das auch zu tun. Ein Mensch, Jesus Christus, der sich hingibt, Frieden stiftet, Liebe lebt, Kranke heilt, Kinder segnet, Sünder annimmt, Teilen lehrt. Der selbst ein Opfer römischer Gewalt wird – um so am Ende selbst die Macht von Tod und Gewalt zu durchbrechen.
Das alles mag naiv klingen, wie ein nettes Märchen. Von außen lässt sich diese Hoffnung nicht beweisen, so wenig wie ihr Gegenteil. Ob es wahr ist, kann ich nur erfahren, wenn ich mich selbst darauf einlasse. Wenn ich mich aufmache, innerlich wie äußerlich aufrichte und selbst anfange, in dem Licht Jesu Christi zu leben.

Wenn ich aus meiner privaten Wohlfühlblase raustrete und meinen einsamen Nachbarn von nebenan besuche. Indem ich so zu sein versuche, wie ich es mir selbst von anderen wünschen würde. Wenn ich etwas von meinem Besitz spende, weil andere es besser brauchen können. An die Essenstafeln bei uns, die im Augenblick einen Aufnahmestopp haben, weil es zu viele Bedürftige sind. Oder an „Brot für die Welt“, einfach weil niemand hungern soll. Wenn ich mich bei der Arbeit, in der Schule, am Stammtisch nicht mitreißen lasse und nicht mitlästere, sondern den Mut habe, anders zu leben. Wenn ich aufhöre, selber immer schwarzzumalen und nur das Negative zu sehen. Das sagt oft mehr über mich und meine Brille als über die anderen und die Welt da draußen. Wenn ich mich für Menschlichkeit einsetze und allen Hetzern widerspreche, die Hass und Zwiespalt säen – gerade jetzt in Zeiten des Wahlkampfs. Wenn ich versuche, anderen das Leben etwas leichter zu machen – durch kleine Gesten, Worte, Taten. Die bewirken manchmal wahre Wunder. Wenn ich mich für die Bewahrung der Schöpfung einsetze, auch wenn mich das ein paar meiner liebgewordenen Gewohnheiten kostet. Wenn ich aufhöre, permanent geschäftig zu sein, zur Ruhe komme und vor Gott darüber nachdenke, was ich eigentlich mit meinem Leben anfangen will – frei zu sein für andere. Dann nehme ich gemeinsam mit anderen den goldenen Faden der uralten Verheißungen auf. Und ich werde selbst zum Subjekt und Erzähler der Hoffnungsgeschichte.

Werde ich damit den Lauf der Geschichte ändern oder die Welt retten? Sicher nicht. Das liegt letztlich in Gottes Hand. Aber ich kann versuchen, in meinem bescheidenen Leben Gutes zu tun, Liebe zu üben, licht zu werden – und so ein Teil von Gottes Hoffnungsgeschichte zu sein. Dietrich Bonhoeffer hat dieses Ineinander von Gottes Wirken und unserem Handeln eindrücklich formuliert. 1943 im Gefängnis schreibt er in einem Glaubensbekenntnis: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. […] Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, […] dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Weihnachten – das heißt für mich: Licht in Sicht. Den Kopf erheben. Aufrecht leben. Den Mut haben, sanft zu sein. Weil Gott mitten unter uns ist.

Ihnen eine gesegnete Weihnacht!


Theologische Impulse (154) von Präses Dr. Thorsten Latzel

Weitere Impulse: www.glauben-denken.de
Als Buch: www.bod.de

Grafik: molitor & kuzmin I LichtZeit I 2019, Foto: Künstler

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