Vom Gekreuzigten und der Krux mit den Kreuzen. Wider die Logofizierung eines Symbols

15.2.2019

Thorsten Latzel

Als Markus Söder im April letzten Jahres dekretierte, dass in allen bayrischen Staatsbehörden Kreuze zu hängen haben, war die Empörung in den Kirchen groß. Zurecht. ...

Als Markus Söder im April letzten Jahres dekretierte, dass in allen bayrischen Staatsbehörden Kreuze zu hängen haben, war die Empörung in den Kirchen groß. Zurecht. „In diesem Zeichen wirst Du im Wahlkampf siegen.“ Hier hatte einer offensichtlich die Lehren aus der Geschichte nicht richtig verstanden. Das Kreuz taugt weder als hegemoniales Machtsymbol. Noch lässt es sich zu einem bloßen christlich-abendländischen Kulturmarker ohne religiösen Gehalt machen.

Die tieferliegende Frage freilich ist, wie wir in den Kirchen mit dem Kreuz umgehen. Etwa, wenn man sich einmal die Auftritte der zwanzig evangelischen Landeskirchen ansieht: Gepinselt, gepunktet, rechteckig, winklig, facettenförmig, verschoben, gebrochen, vielfarbig, eindimensional, eindeutig. Das Kreuz ist unter die Graphiker und Öffentlichkeitsarbeiter gefallen. Nähme man die zigtausenden kirchlichen bzw. diakonischen Einrichtungen, Vereine, Verbände, Werke und Gemeinden dazu, die Pupille würde einem platzen. Wir haben das Symbol zum Logo gemacht. „In diesem Zeichen werdet ihr kommunikativ siegen.“ Was für ein Unsinn. Nun mag es ein berechtigtes Interesse von Institutionen geben an Sichtbarkeit und Wiedererkennbarkeit. Doch das Kreuz taugt sicher nicht dazu. Als Symbol ist das Kreuz anstößig, paradox, mehrdeutig. Es ist uneigentlich, nicht funktionalisierbar, transparent für etwas Anderes. Es wirft Sinnebenen zusammen (so griech. symballein), hat Begegnungscharakter und theologisch-ästhetischen Mehrwert. Das alles bietet das Logo aber gerade nicht.

Genauso wenig taugt das Kreuz aber auch als hierarchisches Statussymbol, etwa als Bischofskreuz für das Bischofsamt, sei es nun in massivem Silber oder Gold. Die Schwere dieses Amtes bemisst sich doch nicht in Karat. Wie eine himmlische Bürgermeisterkette. Klerikalisierungen stehen der evangelischen Kirche generell schlecht zu Gesicht. Und mir fällt, ehrlich gesagt, nichts ein, worin derart gestaltete Kreuze die Verkündigung des Gekreuzigten irgendwie befördern könnten, aber durchaus einiges, worin sie das nicht tun.

Womit wir bei der eigentlichen Frage wären: Was haben wir heute theologisch vom Gekreuzigten zu sagen? Wie können wir so davon erzählen, dass wir selber und andere verstehen, was er für das Leid der Welt bedeutet? Wie putzen wir die alten Worte und Bilder, dass sie etwas von dem widerspiegeln, was durch diesen Riss in den anderen Rissen erscheint? „There is a crack in everything / That’s how the light gets in.“ (Leonard Cohen, Anthem)

Theologisch denken und reden wir beim Kreuz schnell in Kategorien von Schuld und Opfer, Versöhnung und Erlösung. In himmlischen Schuld-Verrechnungsbanken. Doch es geht zunächst um Leiden, um Worte, um Blicke. Es geht um einen Menschen mit einer Geschichte, vorher und nachher. Und es geht um Begegnung. Mit dem Gekreuzigten.

  1. Leiden.

Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat einmal gesagt, dass die erste Frage von Jesus an seine Mitmenschen nicht ihrer Schuld galt. Sondern ihrem Leiden. „Was willst du, dass ich dir tue?“ Und dass es auch am Kreuz zunächst um Leid geht. Das ist uns vor lauter theologischen Deutungen manchmal aus dem Blick geraten. Dass da ein Mensch leidet. Dass Gott leidet. Und dass es etwas mit mir macht, wenn ich es sehe. Compassion – Mitleiden ist der Begriff, mit dem Metz diese Leidens-Begegnung zu beschreiben versucht. Das ist mehr und anderes als Mitleid, Empathie, Trauer. Es ist ein Prozess, der Gott und mich und das Leiden verändert. Das Leiden schließt Schuld, Sünde und Tod ein. Und es nimmt mich unmittelbar hinein. Weil ich nicht anders kann, als mitzuleiden, wenn ich ihm begegne.

Geistlicher Heimlich-Griff

Wenn ich das Leid nicht begreife,
weil es da nichts zu begreifen gibt.
Wenn das Leid mich ergreift,
dass ich Halt und Hoffnung
mich verlier.
Wenn am Ende nur
Schmerz noch bleibt,
nur ohne
nur.
Dann, Christus, schrei
für mich. (TL)

  1. Blicke

Das Kreuz selbst ist ein Kipp-Bild, eine Inversionsfigur, eine „multistabile Wahrnehmung“. Es verstört, irritiert, verkehrt meine Wahrnehmungen. Es stellt die Bilder gleichsam auf den Kopf. Von Gott und Mensch, Leid und Erlösung, Tod und Sieg. Victor quia victima (Augustin). Sieger, weil Besiegter (Opfer). Und es verwandelt meinen Blick auf das Leid des anderen Menschen, wenn ich begreife, dass in ihnen Gott selber leidet: Wann haben wir dich nackt, hungrig, durstig, als Fremden, krank oder im Gefängnis gesehen? (Matt 25, 31-46) Das Kreuz hat mit meiner Menschensicht, meinem Weltblick zu tun. Oder es hat nichts mit mir zu tun. Ohne Korrektur meiner Leidblindheit ist Christus nicht zu haben. Es geht darum, wie ich selbst von Christus als Leidendem angesehen bin. Und als was ich meinerseits den leidenden Menschen am Kreuz ansehen.

Was der römische Hauptmann sah

Er sah einen Menschen
gequält, hingerichtet, schreiend, leidend
am Kreuz.
„INRI“. „Der König der Juden“

Er sah, dass etwas nicht stimmte,
dass ganz und gar nicht stimmte,
was er sah.
„Eli, eli, lama asabtani.“
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Er sah, was er nicht sah.
Die Lücke, den Riss, den Gott,
der als Allmächtiger fehlte
und als Leidender da war.
„Wahrlich, dieser Mensch ist Gottessohn gewesen.“ (TL)

  1. Worte

Jesus stirbt bei Markus und Matthäus mit dem Schrei der Gottverlassenheit: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen?“ Worte Israels aus Psalm 22. Der Psalm ist wie das Skript, nach dem die Evangelisten Jesu Leiden erzählen. Der Spott der Leute, das Würfeln um die Kleider, das letzte Dürsten, das Durchbohren von Händen und Füßen. Doch das Besondere an dem Psalm ist seine Lücke. Die Leerstelle, der Spalt, das ungeschriebene Weiß zwischen den Zeilen: Wenn mit einem Mal die Klage über das Leid in den Lobpreis umschlägt. Gott sieht. Gott hört. Und lässt dem Leiden nicht das letzte Wort. Lukas und Johannes haben diese Zuversicht bereits in ihre Erzählung des Kreuzes eingezeichnet: „Ich befehle meinen Geist in deine Hände“. „Es ist vollbracht.“ Die letzten Worte Jesu passen nicht alle zusammen. Sie können nicht passen. Weil das Leid nicht passt. Weil die Lücke, der Riss immer wieder da sind. Weil es mehr als ein Evangelium braucht, um mit ihnen umzugehen. Weil der Kampf darum, wer am Ende das letzte Wort haben wird, zwar entschieden, aber noch nicht zu Ende ist. Der letzte Spott, die letzte Verzweiflung. Oder der Anfang neuer Beziehung: „Siehe, dass ist dein Sohn.“ „Siehe, dass ist deine Mutter.“

Was dann geschah – eine Metamorphose

Der Leidende heilte, leidet nun selbst als Opfer.
Der Traurige tröstete, schreit verlassen von Gott.
Der Hungernden Brot gab, ist nur noch Leib.
Der Aussätzige segnete, hängt verflucht am Kreuz.
Der Armen frohe Botschaft brachte, wird Ziel des Spotts.
„Arzt, hilf dir selbst!“
Er hatte sich so sehr um Kopf und Kragen
geliebt, geglaubt, gehofft – auf Gott,
dass dem gar nichts anderes übrigblieb,
als ihn auferwecken.
So ist das mit
Söhnen. (TL)

Theologische Impulse 6, von Dr. Thorsten Latzel