Von Nachtdämonen und der Kunst zu schlafen

8.2.2019

Thorsten Latzel

Unter tausend Kissen keine Ruh Kann nicht schlafen / Trotz langer Listen von blöd-braven Schafen Wälze bis zum Verrecken / Sorgen, Kissen, Fragen, Decken In Kopf-Labyrinthen ohne Ecken ...

Unter tausend Kissen keine Ruh

Kann nicht schlafen / Trotz langer Listen von blöd-braven Schafen
Wälze bis zum Verrecken / Sorgen, Kissen, Fragen, Decken
In Kopf-Labyrinthen ohne Ecken / Zweifel-Zecken in Hader-Hecken
Will in die Federn / Lande auf Rädern
Und unter tausend Kissen keine Ruh.

Bis der Morgen graut / Ewig auf die Uhr geschaut
Doch irgendwie, -wann, -wo weg / Träum wild, wirr, wüsten Dreck
Renn auf Treppen ohne Ende / Stürz in Tiefen, gegen Wände
Komm nicht von der Stelle / Und doch in die Hölle
Am Ende des Gangs ein langer Strick / Kaltes Grinsen, eisiger Blick.
Und unter tausend Kissen keine Ruh.

Schlepp mich schlapp / Fahrig, tranig, madig
Durch Runden unverbundener Stunden / Verspannter Blick, verkrampftes Genick
Unverhohlen unerholt /Zerzauster Schopf, dröhnender Kopf
Müdes Gähnen / Erschöpftes Sehnen
Und unter tausend Kissen keine Ruh.

Jeder vierte bis jeder dritte Deutsche leidet unter Schlafstörungen. Die Studien schwanken je nach Definition und Befragungsansatz. Die Symptome der Schlafstörung (Insomnie) sind vielfältig: Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Einschlafprobleme, Nachtangst, Alpträume, Durchschlafprobleme (besonders beliebt bei Männern gehobenen Alters), dauerhaft nicht erholsamer Schlaf, Beine, die nicht zur Ruhe kommen (restless legs), Schlafwandeln, Schlafsucht, wirkliche Schlaflosigkeit, Schlaf-Apnoe. Mit Folgen für Herz-Kreislauf, Bluthochdruck, Leistungsabfall, Übergewicht, Depressionen, psychischen Störungen. Es ist eine Last mit der Rast – gerade in einer dauer-mobilen Gesellschaft.

Ein krasses Gegenbild dazu ist die Geschichte von der Sturmstillung (Markus 4, 35-41). Da liegt Jesus im Boot und schläft. Mitten im Ungewitter. Während die Jünger rudern, rackern, kämpfen – ohne Rast, ohne Ruhe und ohne Erfolg -, liegt Jesus nur da und schläft.

Etwas mehr Engagement

Als die Engel sangen und die Hirten kamen,
lag er in der Krippe und schlief.
Als der Sturm tobte und die Jünger ruderten,
lag er im Boot und schlief.
Als die Feinde triumphierten und die Frauen trauerten,
lag er im Grab und schlief.
Was hätte aus dem Mann werden können.
mit ein bisschen mehr Engagement.

Der schlafende Christus im Sturm. Inmitten von Fallwinden und brechenden Wellen wird er selbst zum Auge des Sturms. Zum ruhenden Pol. Sünde, Tod und Teufel zum Trotz. Ein starkes Sinnbild des Glaubens. „Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen.“

Schlafen können hat viel zu tun mit Glauben. Im Schlafen geht es um ein Lassen. Ein Loslassen. Das Leben aus der Hand zu geben. Aufhören, zu machen, zu sorgen, zu planen. Und zugleich gerade so ganz bei sich selbst sein. Realisieren, dass das Leben im Letzten nicht in unseren Händen liegt. Nicht nur in dem Lebensdrittel, das wir im Bett verbringen, sondern insgesamt.

Schlafen ist wie Beten mit dem Körper. Nicht umsonst ist der Abend eine der häufigsten Zeiten des Gebets. Die Hände falten, die Augen schließen, das Leben in Gottes Hand geben. Oder wie es am Ende von Luthers Abendsegen heißt: „Und dann flugs und fröhlich geschlafen.“

Insofern, liebe Leserin, lieber Leser: Vertraue wohl – schlafe gut! Eigentlich ein schöner Schluss für einen theologischen Impuls. Dazu vielleicht noch ein paar weise, fromme Ratschlägen von den Schwestern und Brüdern aus anderen Jahrhunderten:

  • Pflegen Sie feste Abendrituale. Putzen Sie nicht nur ihre Zähne, sondern auch Ihre Seele. Oder in Digitalsprache: Fahre Sie Ihren Prozessor geordnet runter. Winding down.
  • Schreiben Sie Ihre Quäl- und Sorgengeister auf, die Sie nicht loslassen. Und legen Sie sie dann am Nachttisch ab.
  • Beten Sie. Betrachten Sie ihr Leben in der Perspektive der Ewigkeit Gottes. Das rückt die Verhältnisse zurecht – und macht müde.
  • Erinnern Sie sich, dass zu Gottes schöner Schöpfung auch Ihr Körper gehört. Bewegen Sie sich, schwitzen sie und entspannen sie.
  • Und wenn Sie dennoch wach werden und partout keine Ruhe finden: Stehen Sie auf, arbeiten Sie eine Stunde und schlafen Sie dann weiter. Früher gab es den Segen des „zweiten Schlafes“.

So fromm, so weise. „Amen und Gute Nacht!“

Wenn es denn so einfach wäre. Auch bei Jesus sollte sich das mit dem Schlafen später verändern. Als der Sturm in ihm selber tobt, in der Nacht des Verrats, im Garten Gethsemane. Als er nicht mehr weiterweiß und darum bittet, dass der Kelch an ihm vorübergeht: Da werden die Jünger schlafen und er selbst keine Ruhe finden.

Denn die Nacht ist auch die Zeit der anderen Begegnung des Glaubens: Wenn Gott und Teufel, Engel und Dämon im Dunkeln manchmal nicht auseinanderzuhalten sind. Des Nachts sind auch alle religiösen Katzen grau. Dann wird Gott mitunter erfahren als ein Nachtdämon. Wie ein finsterer Geist, der einen anspringt wie bei Jakob am Jabbok. Der einen bis in die Träume hinein verfolgt und nicht mehr loslässt. Und dann fangen die Stürme an, in einem selbst zu toben: die Unversöhntheit mit sich selbst, den anderen, dem eigenen Leben. Die Stürme, in denen es immer letztlich um mich selbst geht, wer ich eigentlich bin und sein will und sein sollte.

Auch die Schlaflosigkeit gehört zum Glauben, wenn sie uns in die rechte Auseinandersetzung mit uns selbst und mit Gott führt. Viele tiefe Gespräche und intensive Begegnungen beginnen, wenn es dunkel wird. In diesen Nächten gilt es zu wachen, zu beten, mit Gott zu streiten: um gewiss zu werden, wer wir selber im Angesicht Gottes sind, was unsere Aufgabe ist und was nicht, welche Rolle Gott in unserem Leben spielt. Und um dann in anderen Nächten wieder wirklich schlafen zu können.

Was so fromm und innerlich klingt, hat eine tiefe Bedeutung für unsere Gesellschaft. Ich glaube, dass wir in unserer Zeit auch deshalb gefühlt von einer Krise in die andere taumeln, weil unser „Schlaf-Wach-Rhythmus“ gestört ist. Weil wir die Nächte der Anfechtung allzu oft nicht durchstehen, sondern uns von allem Möglichen ablenken lassen. Die Nächte, in denen es darum geht, was unsere „Berufung“ ist, wie wir mit uns selbst und unseren Mitmenschen umgehen sollten. Nächte der Anfechtung, in denen wir endlich wachgerüttelt werden: „Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht!“ Und weil wir umgekehrt in anderen Nächten unnötig unruhig schlafen und uns von jedem Wind treiben lassen. Eben weil wir nicht wissen, wer wir sind, was zu tun ist und in wessen Hand wir stehen.

Unserer hyperkritischen Zeit täte beides gut: Ruhen und schlafen im Vertrauen auf Gott. Allen Krisen zum Trotz. Und wachen, um gewiss zu werden, wie wir in dieser Welt in der Perspektive der Ewigkeit leben wollen.

Theologische Impulse 5, von Dr. Thorsten Latzel