4. Juli 2013 von Manfred Rekowski
Ich habe mich über die Kommentare zu meinem letzten Blogbeitrag gefreut, denn diese Rückmeldungen zeigen, diese Diskussion ist notwendig. Ich danke Ihnen, dass Sie sich an der – vom Rat der EKD gewünschten – Diskussion über die Orientierungshilfe beteiligen, und verstehe meine Antwort auch als Diskussionsbeitrag.
Natürlich habe ich auch verfolgt, wie die Orientierungshilfe in den Medien kommentiert wurde, es gibt viele kritische Kommentare. Auf die Kritik des SPIEGEL habe ich mit meinem letzten Blogpost geantwortet. Ich schaffe es nicht, auf die einzelnen Details der Kritik an der Orientierungshilfe zu antworten. Man mag auch diskutieren, ob der Argumentationsduktus angemessen ist, ob die theologischen Argumente mehr Raum gegenüber der soziologischen Betrachtung hätten einnehmen müssen, aber dies sollte nicht hindern, sich mit der theologischen Argumentation auseinanderzusetzen.
Wir haben das biblische Zeugnis, wir haben die Aussagen der Reformatoren zu Ehe und Familie und wir erleben, wie sehr sich in den letzten 50 Jahren die Lebensformen in unserer Gesellschaft entwickelt haben. Dies müssen wir zusammendenken. Die Antworten darauf können auch verschieden ausfallen. Darin sehe ich jedoch keine Schwäche des Protestantismus, sondern eine Stärke. Wir ringen gemeinsam um die rechte Auslegung des Evangeliums.
In meinem Blog und auf Facebook habe ich zwei Grundrichtungen in den Kommentaren wahrgenommen von Menschen, die – so schließe ich aufgrund der Kommentare zurück – unserer Kirche hoch verbunden sind. Die einen bedauern: Die Orientierungshilfe wertet die Ehe ab, die anderen sagen: zum ersten Mal erkennt uns die Kirche als Regenbogenfamilie an. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam diskutieren, was das biblische Zeugnis für uns heute bedeutet.
Es geht nicht darum, Menschen und ihre Lebensentwürfe zu bewerten. Wir müssen auch nichts leisten, um vor Gott zu bestehen. Wir wissen darum, dass wir auch scheitern können und Leben nicht immer so gelingt, wie wir es uns wünschen. Im Gelingen und im Scheitern sind wir an Gott gewiesen.
Zum Traugottesdienst heißt es in der Orientierungshilfe (S. 63): „In einem Traugottesdienst feiern wir mit dem Paar, mit Freunden und Familien, dass die beiden sich getraut, sich den gemeinsamen Lebensweg zugetraut und ihr Leben anvertraut haben, und bitten um Gottes Segen für diese Entscheidung und die gemeinsame Zukunft.“ Ebenso (S. 65): „In diesem Augenblick, in dem Gottes Wort hörbar wird und gemeinsam gebetet wird, in dem der Segen in der Handauflegung spürbar wird, kann deutlich werden, dass Gottes Zuwendung und Liebe als Kraftquelle stärker sind als menschliche Erwartungen und menschliches Versagen.“
Im Traugottesdienst versprechen sich zwei Menschen lebenslang die Treue und bitten um Gottes Segen für ihr gemeinsames Leben. In der Orientierungshilfe finde ich daher keine Entwertung der so genannten bürgerlichen Ehe.
Mir ist dabei noch einmal durch die Orientierungshilfe klar geworden, dass über längere Zeiten hin – und z.T. ja bis in die Gegenwart – auch die evangelische Kirche eine Vorstellung der Ehe als Schöpfungsordnung vermittelt hat – dem Menschen von Natur aus eingeprägt, und sie als Sakrament versteht. Übersehen wurde dabei, dass die Bibel in ihren beiden Teilen das Zusammenleben in Ehe und Familie in großer Vielfalt beschreibt, dass außerdem die wenigen alttestamentlichen Texte, die von einer Eheschließung sprechen, diese übereinstimmend als Rechtsakt verstehen. Erst im Buch Tobit (1. Jh. v. Chr.) tauchten Segenshandlungen im Zusammenhang mit der Eheschließung auf.
Jede Zeit hat ihr eigenes Eheverständnis, dies müssen wir im Blick auf das biblische Zeugnis sehen. Dabei dürfen wir auch neue Entdeckungen machen. Wenn wir zu unterschiedlichen Auslegungen kommen, müssen wir diese miteinander diskutieren.
Manchmal hilft ein Blick in die Kirchengeschichte. Martin Luther hat die Ehe „ein weltlich Ding“ genannt, sie andererseits als „göttlich Werk und Gebot“ bezeichnet hat. Dass er von der Ehe als „göttlicher Ordnung“ und „heiligem Stand“ reden kann, ist nicht zuletzt in seiner Polemik gegen die kirchliche Praxis seiner Zeit begründet, die Priester- und Mönchtum als „heiligen Stand“ geschaffen und damit „weltliche Stände“ abgewertet hatte. Pointiert wertet Luther demgegenüber die Ehe und ebenso die Alltagsarbeit und „weltliche“ Berufe als „göttliche Ordnung“ und „heilige Stände“ auf. Die Ehe ist kein Sakrament, sondern eine Gemeinschaft unter dem Segen Gottes.
Wir müssen heute über Ehe und Familie reden, weil sich unsere gesellschaftliche Realität geändert hat. Eine theologische Rangfolge für die verschiedenen Lebensformen zu erstellen, ist für mich aber problematisch und wenig hilfreich.
Luther hat es abgelehnt, bestimmte Lebensformen von vorne herein als heilig oder andere als unheilig zu bezeichnen, sondern in den verschiedenen Lebensformen kann man dem Evangelium gemäß leben.
Geht es nicht darum, dass in den unterschiedlichen Formen, in denen heute Familie gelebt wird, Menschen willens und fähig sind und werden, sich aufeinander verantwortlich einzulassen, verlässliche Beziehungen zu gestalten, glückliche und schwierige Zeiten miteinander zu teilen, an Bindungen auch in Belastungen festzuhalten? Die Ehe ist natürlich für uns als Kirche ein Leitbild, jeder Traugottesdienst macht dies deutlich, denn dann bitten wir um Gottes Segen für ein Paar. Dass Gott ihnen Kraft gebe, damit sie in guten und schlechten Tagen füreinander einstehen.
Leitbild heißt aber auch: Was Ehe ausmacht, auch zu übertragen, wo es geht. Was bedeutet dies, wenn Menschen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenslang füreinander Verantwortung übernehmen wollen? Andererseits: was heißt dies für den Umgang mit Menschen, deren Ehe oder Partnerschaft scheitert?
Was heißt das für die verschiedenen Lebensformen, die wir heute in unserer Gesellschaft leben – dies müssen wir ausbuchstabieren.
Von: Manfred Rekowski