Die ersten sieben Tage oder: Wie es nach dem Weltuntergang weitergeht

16.8.2019

Thorsten Latzel

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Dies ist der erste Satz der Bibel. Und es ist zugleich einer der umstrittensten. Seit der Aufklärung, speziell ...

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Dies ist der erste Satz der Bibel. Und es ist zugleich einer der umstrittensten. Seit der Aufklärung, speziell seit den Forschungen von Entwicklungsbiologen wie Jean-Baptiste de Lamarck oder Charles Darwin bis hinein in die Gegenwart gibt es einen heftigen Streit um Schöpfung und Evolution. Die einen meinen, Gott aus naturwissenschaftlichen Gründen bestreiten zu müssen. Andere wiederum sehen sich berufen, den christlichen Glauben und die Schöpfungsgeschichte zu verteidigen, indem sie Erkenntnisse der Evolutionsforschung bestreiten.

Bei solchen extremen, aber leider nicht seltenen Positionen hat man den Eindruck: Hier kämpft Unverstand mit Ignoranz. Nein, der Glaube wird nicht tiefer, wahrer oder reiner, wenn man aufhört, zu forschen oder zu denken. Und wenn wissenschaftliche Erkenntnisse (bei aller bleibenden Irrtumsmöglichkeit) dem Gottes-Glauben Probleme bereiten, liegt das wohl eher nicht an Gott, sondern am Glauben. Umgekehrt ist es kein Zeichen besonderen Text-Verständnisses, wenn man meint, „die Bibel zu widerlegen“, weil in ihr keine Dinosaurier vorkommen. Oder weil die Schöpfungsgeschichte nicht die Ergebnis-se neuzeitlicher Forschung zur Erdgeschichte enthält. Im Bilde gesprochen: Dies ist ungefähr so sinnvoll, wie wenn man sagt, das Porträt der Mona Lisa sei falsch, weil es nicht als Passfoto tauge. Oder wenn man Goethes Liebesgedicht „Willkommen und Abschied“ kardiologisch interpretieren wollte. Man muss die Gattung beachten, um den Text zu verstehen.

Am Anfang der Bibel geht es um das Ende. Die Geschichte stammt aus einer Zeit, als alles verloren war: Land, Tempel, Königreich – der Glaube an die eigene Erwählung. Die Schöpfungsgeschichte ist eine „Post-Dystopie“, eine Geschichte aus den Tagen nach dem Untergang der Welt. Als die Israeliten fern der Heimat am Euphrat im Exil saßen und vor Trauer ihre Harfen in die Weiden gehängt hatten. Eine Erfahrung, die Menschen auch heute aus Trauerzeiten kennen. In der Geschichte der „ersten sieben Tage“ geht es um das Leben in den „letzten Tagen“. Es geht um die große Frage, was trägt und hält, wenn alle anderen Stricke zerrissen sind. Ein Text für politische Krisenzeiten, der angesichts eines gegenwärtigen Zeitempfindens eine ganz neue Bedeutung gewinnt, in dem wir „die Welt“ und uns selbst immer kurz vor dem Abgrund sehen: ökologisch, ökonomisch, politisch. Was machen wir eigentlich mit einer jüngeren Generation, wenn wir ihnen permanent vermitteln: „Es ist fünf vor zwölf?“

Mitten im emotionalen Chaos, in den Trümmern ihrer damaligen Welt setzten sich die Verfasser hin und erzählten vom Anfang der Welt. Von einer guten, heilsamen, befreienden Ordnung Gottes jenseits all dessen, was wir Menschen selber tun und machen. Und sie erzählten von den Grundeinsichten ihres Glaubens in einfachen Bildern und mit solch einer tröstenden Kraft, das Menschen zu späteren Zeiten hierin Halt gefunden haben. Sieben kurze Impulse:

1. „Gott hält das Leben in seiner Hand.“ Das ist die erste einfache Glaubensaussage in dieser Geschichte. Es existiert ein Gott vor allem, über allem und in allem, der es gut mit uns meint. Nicht wir haben die Welt in den Händen und auch kein anderer Mensch, sondern Gott. Und das ist gut so.

2. „Gott hat die Chaosmächte eingedämmt.“ Es gibt zerstörerische Kräfte, vor denen wir allen Grund haben, uns zu fürchten. Aber selbst die Urfluten haben eine Grenze. Licht und Dunkel sind von Gott geschaffen und ruhen in seiner Hand.

3. „Es gibt eine bleibende gute Ordnung im Leben.“ In der Geschichte ist dies vor allem der Wechsel von Tag und Nacht. Ein tiefer Lebensrhythmus, sieben Tage. Dies kann helfen, sich auf das eigene Tageswerk zu konzentrieren. Auf das, was ich konkret an dieser Stelle meines Lebens zum Wohle anderer tun kann, anstatt mich an der Rettung der Welt zu verheben. Und dann, am Ende jeden Tages, jeden Jahres, des eigenen Lebens loslassen und in Gottes Schöpfungslob einstimmen können: „Und siehe, es war sehr gut“

4. „Die Schöpfung besitzt eine einmalige, wundervolle Schönheit.“ Jedes Tier nach seiner Art: die Giraffe, der Klippdachs, die Walfische, die Mücke. Auch daran ist es gut, sich immer wieder zu erinnern – gerade weil wir gegenwärtig erfolgreich daran mitwirken, genau diese Vielfalt zu zerstören.

5. „Die Sieger-Mächte werden entzaubert.“ Damals waren es die Astralgötter der Babylonier, welche sich angesichts deren militärischer Erfolge als überzeugend, glänzend, faszinierend erwiesen hatten. Heute sind es die Sterne anderer imponierender Siegermächte von den vermeintlichen Herren der Welt. In der subversiven Erzählung hängt Gott diese Astralgottheiten wie Lampions an den Himmel, damit sie uns leuchten sollen: die Sonne am Tag, der Mond und die Sterne in der Nacht.

6. „Als Menschen haben wir einen Auftrag zu schützen, zu bauen und zu bewahren.“ Gott hat uns als Menschen, als seinen Ebenbildern, den Auftrag gegeben, seine Schöpfung zu bewahren, nicht zu beherrschen. Wir sind hier und haben eine begrenzte Zeit, in der wir an diesem guten Willen Gottes für alle Lebewesen mitwirken können.

7. „Am Ende von allem steht die Ruhe Gottes.“ Das Ruhen Gottes als Grund dafür, dass wir zu Ruhe kommen können. Am Ende des Tages, der Woche, des Lebens: die Hände schließen, die Brille zusammenfalten, ruhen können und den Rest getrost Gott überlassen

Das Motto im Reformationsjahr 2017 war „Gott neu entdecken“. Ich glaube, dass es in mitten einer dauer aufgeregten Gegenwart und populistischer Angstmacher helfen kann, die Geschichte der ersten sieben Tage neu zu erzählen. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“

Gott ist es, der Licht aus Finsternis schafft; der dem Nichtseienden ruft, dass es sei; der alleine Herr ist über alle Chaosmächte und die vermeintlichen Herren der Geschichte; und der uns berufen hat, aus die-ser Gewissheit frei und mutig für andere zu leben.

Sieben Tage

Gott,
ich bin Meister
im Entwerfen von Plänen.
Nur scheitere ich oft
am Heute.
Hilf mir in meiner
hyperaktiven Hektik.
Lass mich zur Ruhe kommen:
am Ende des Tages, der Woche, meiner Zeit.
Lass mich tun, was ich kann.
Und loslassen,
was deine Sache ist.
Auf dass auch ich am Abend sagen kann:
„Und siehe, es ist und war und wird sehr gut.“ (TL)

Theologische Impulse 32, von Dr. Thorsten Latzel