Ewigkeit. Sieben Thesen und ein kleines Gedicht

24.11.2019

Thorsten Latzel

„Da wird das Lachen werden teu’r, wenn alles wird vergehn im Feu’r, wie Petrus davon schreibet.“ (Evangelisches Gesangbuch 149, 1) Die Ewigkeit kann einen manchmal ganz schön den Tag ...

„Da wird das Lachen werden teu’r,
wenn alles wird vergehn im Feu’r,
wie Petrus davon schreibet.“
(Evangelisches Gesangbuch 149, 1)

Die Ewigkeit kann einen manchmal ganz schön den Tag versauen. Natürlich klingt „ewiges Leben“ erst einmal sehr schön. Vor allem im November: Wenn die Bäume kahl und die Tage kürzer werden. Wenn man spürt, wie die eigene Zeit verrinnt. Und die der Liebsten. Wenn der kalte Wind des „Nicht mehr“ über die Felder weht. Entsprechend bunt und schön sind denn auch die Bilder der Ewigkeit in der Bibel: ein neuer Himmel und eine neue Erde, ein Festmahl, eine Hochzeit. Wie etwa in den Endzeitreden Jesu.

Aber: Irgendwas stimmt mit dem Konzept der Ewigkeit nicht. Ich meine, was soll denn das für ein Festmahl sein?

Die einen kommen überhaupt nicht rein, darunter vielleicht meine Liebsten oder ich selbst. Sie müssen draußen bleiben, wo Heulen und Zähneklappern sein wird. Die anderen, die reinkommen, bringen mit: „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ (Bach, BWV 12). Das Leben als großes Tränental. Als wären Christen Menschen, die zum Lachen in den Himmel gehen müssen. Und als Türsteher für die Ewigkeit machen blasshäutige Theologen hier auf Erden schon einmal den Vorverkauf. Unter uns: Wenn die Party so losgeht, kann die Ewigkeit ganz schön lang und dröge werden.

Die entsprechenden biblischen Geschichten kann man in der Tat so lesen – und sie wurden es auch, wie der Text des eingangs zitierten Liedes zeigt. Deswegen gibt es auch die Gegenreaktion, dass manche in der Kirche am liebsten gar nicht mehr von ewigem Leben oder vom Gericht sprechen. Sondern nur noch davon, dass wir alle „unbedingt angenommen“ sind, irgendwie. Was auch nicht wirklich befriedigt.

Der Ewigkeitssonntag, der Toten-Sonntag: es ist der Tag im Kirchenjahr, an dem sich zeigt, was wir als Kirche des Wortes wirklich zu sagen haben – angesichts der offensichtlichen Macht des Todes. Angesichts der Trauer, um die Menschen, die nicht mehr unter uns sind. Und angesichts der zerbrechlichen, zarten, vagen Hoffnung auf die Ewigkeit. Anlass genug, noch einmal genauer hinzusehen, was die Schrift, was Jesus sagt zur Hoffnung über den Tod hinaus.

Sieben Thesen zur Ewigkeit – und ein kleines Gedicht:

1. Es ist nicht egal, wie wir leben. Es ist nicht egal, ob ich meine Partnerin, meinen Partner betrüge oder nicht, ob ich meine Kinder liebe oder nicht, ob ich über meinen Kollegen lästere oder nicht, ob ich meine demente Oma besuche oder nicht, ob ich Kranke pflege, Trauernde tröste, Nackte kleide, Hungernde satt mache, Fremde aufnehme – oder nicht. Das alles spielt eine Rolle – in Ewigkeit. Im Bilde gesprochen: Der auferstandene Christus trägt die Wunden des Kreuzes bleibend an seinem Körper. Und auch die Salbung, die er erfahren hat. Das gilt auch für das Gute und für die Wunden, die wir einander zufügen. Was wir tun, ist nicht egal. Wir können unser Leben erfüllen und es verfehlen. Tagtäglich. Es ist nicht egal.

2. Wer lebt, um in die Ewigkeit zu kommen, hat sie schon verfehlt. Das ist die große befreiende Einsicht, die Martin Luther 1517 wieder neu entdeckt hat. Man kann mit dem Höchsten, dem Ewigen nicht handeln. Gott sei Dank! Und was wäre das auch für ein kleiner, mickriger Buchhalter-Typ, zu dem unser ängstliches, verzagtes Gewissen Gott immer wieder machen will. Nein, Gott ist die Liebe. Er ist Freiheit, Liebe, Mutter, Vater, Schöpfer, König, Knecht, Bruder, Geist, Richter. Aber er ist kein himmlischer Bilanzbuchhalter. Und Glaube ist kein religiöser Tauschhandel. Und die Ewigkeit nicht der Lohn für ein frommes, anständiges Leben. Oder meinen Sie ernsthaft, Gott würde den stillen Hintergedanken unserer Frömmigkeit nicht durchschauen? Vergessen Sie‘s!

3. Gott richtet, indem er die Dinge in das rechte Licht rückt – in die Perspektive der Ewigkeit. Darum geht es in Jesu Gleichnis vom Weltgericht. Der Menschensohn, der auferstandene Christus, wird wie in einem Spektrallicht an den Tag bringen, was in unseren Leben verborgen gewesen ist: an Liebe und Lieblosigkeit.
Das wird für alle eine Überraschung sein: für die mit der moralisch weißen Weste wie für die, die vor sich wie vor anderen immer als Mistkerle dagestanden haben. Im Licht zu stehen, im Angesicht der unbedingten, ewigen Liebe Gottes, das heißt Jüngstes Gericht. Und man kann sich das ja mal fragen: Wie ich heute, gestern, letzte Woche mit meinen Kolleginnen, Eltern, Nachbarn umgegangen bin – und sie mit mir: Was davon würde eigentlich bestehen, wenn alles offen im Licht der Liebe Gottes dasteht und ich auf ewig mit ihnen leben soll und sie mit mir? Das wird eine Überraschung – in beide Richtungen.

4. Die Pointe liegt darin, aus der Ewigkeit zu leben, nicht auf sie hin. Die Ewigkeit ist nicht das Ziel, sondern der Ursprung unseres Lebens. Das ist ja das Schöne, das Unmoralische in allen Gleichnissen Jesu. Was in unseren religiösen Vorstellungen immer wieder zu einem Knoten führt: Die Ewigkeit ist uns geschenkt. Gratis, umsonst, für umme, kostenlos. Die Frage ist, wie sehr wir sie für unser Leben gelten lassen. Oder auch nicht. Das wird unsere Vorstellung davon, was „Gewinn“ und „Verlust“ in unserem Leben war, ziemlich auf den Kopf stellen. Gerade wenn wir aus der Ewigkeit leben und nicht auf sie hin, bekommt auf einmal jeder einzelne „Augen-Blick“ eine ganz andere Bedeutung.

5. Aus der Ewigkeit zu leben, das heißt: mit Freude ich zu sein – und für andere da zu sein.Beides gehört unlöslich zusammen. Wir sollten aufhören in unserem Leben irgendwie ein anderer sein zu wollen. Ich bin nicht Martin Luther, Mahatma Gandhi, George Clooney, Albert Einstein, nicht der Wunsch-Mensch meiner Eltern, Trainer, Lehrer, Partner. Sondern ich bin Thorsten Latzel: dieser eine, konkrete, unverwechselbare Mensch. Mit meinen großen Gaben, von Gott wunderbar geschaffen. Und mit meinen ebenso großen Macken. Oder dem, was ich dafür halte. Und ich bin es, gerade indem ich für andere da bin. Indem ich es zulasse, dass ich in jedem anderen einen ebenso einzigartigen, liebenswerten, von Gott wunderbar geschaffenen Menschen begegne. Auch wenn der oder die andere, genau wie ich, sich immer wieder alle Mühe gibt, das nicht zu sein. Ich begegne im Angesicht des anderen Menschen Christus – und er in mir.

6. Aus der Ewigkeit zu leben heißt daher: aufzuwachen. Es heißt aufzuwachen aus der alltäglichen Täuschung, mit der wir uns selbst und anderen etwas vormachen. Wir sind nicht der Held und auch nicht der Verlierer, als der wir uns selbst je nach Typ und Wetterlage gerne sehen. Und wir sind auch nicht das Zerrbild, das andere von uns haben mögen. Wir sind – als diese einzigartigen Menschen – Ebenbilder Gottes. Deshalb: Wach auf. Hör auf, Dich selber und andere zu verzwergen oder künstlich zu überhöhen. Sondern lebe aus der Ewigkeit Gottes. Segne den Augen-Blick, in dem dir ein anderer Mensch begegnet. Lebe so, dass andere durch dich Christus erfahren.

Und 7. Das Beste kommt noch. Das gehört zu den tiefen Hoffnungen des christlichen Glaubens. Christen sind Menschen, die das Beste für die Welt noch vor sich wissen. Die allem Anschein zum Trotz darauf vertrauen, dass Gott kommt. Dass Tod, Unrecht, Leiden nicht das letzte Wort haben werden. Dass die Liebe, die am Anfang das Leben aus dem Nichts geschaffen hat, auch am Ende stärker sein wird als der Tod. Christen sind Menschen, die sich keine Sorge darum machen sollten, dass die Hölle am Ende einmal leer sein könnte, sondern die darauf hoffen, dass Gott am Ende einmal „sein wird alles in allem“. Und dass Christus uns einmal alle heilsam überraschen wird.

Zum Schluss das kleine Gedicht. Ist auch wirklich nicht ewig lang.

An der Grenze

An der Grenze
jenes Tages
im Morgenglanz der Ewigkeit
wird man unsere Pässe
aufschlagen
und auf unseren Bildern
wird Gott
lächeln. (TL)

Theologische Impulse 41, von Dr. Thorsten Latzel