Gedanken zum Danken

22.12.2019

Thorsten Latzel

Liebe Leserin, lieber Leser, was ich Ihnen schon immer einmal sagen wollte: DANKE. Danke, dass Sie mich z.T. ein ganzes Jahr lang bei meinen theologischen Denkversuchen begleitet ...

Liebe Leserin, lieber Leser,

was ich Ihnen schon immer einmal sagen wollte: DANKE.

Danke, dass Sie mich z.T. ein ganzes Jahr lang bei meinen theologischen Denkversuchen begleitet haben.

Danke für Ihre klugen, ermutigenden und mitunter auch kritischen Rückmeldungen.
Danke für den sehr persönlichen Gedankenaustausch, der oft im Stillen stattfand.
Und für Ihre Offenheit, mit der Sie sich auf dieses geistliche Begegnungsexperiment eingelassen haben.

DANKE!

Wir steuern ja jetzt auf Weihnachten zu und damit auf die alljährliche Hoch-Zeit des Schenkens – und des Dankens. Nach Krawatten, Büchern, Weinflaschen, Socken, Spielen, Handys, Gutscheinen, Parfums, Pralinen wird es kommen, muss es kommen: „Danke!“ Ansonsten ist ordentlich was schiefgelaufen. Auch in den obligatorischen Weihnachtsbriefen wird davon wieder reichlich und in Fülle die Rede sein: der Dank für meine Treue und mein Vertrauen von der Sparkasse, für die gute Zusammenarbeit von meinen Geschäftspartnern, für den Einsatz und die persönlichen Begegnungen vom Vorsitzenden des Sport-Vereins. Ein omnipräsentes, geradezu inflationäres Danken, als gäbe es kein Morgen mehr. Ein bisschen so wie am Ende bei den Oskar-Preis-Verleihungen. Vielleicht wäre es ja nicht dumm, die Sache etwas zu strecken. Quasi eine anti-zyklische Dank-Anlage-Strategie. Alles hat seine kreative Un-Zeit: Danken Sie einmal im Februar oder Juli oder Oktober!

„Immer das schöne Händchen geben!“, „Bitte heißt das Zauberwort!“ und „Hast Du auch Danke gesagt?“ Danken gehört dabei zu den drei Primär-Konditionierungen frühkindlicher Erziehung. Oder in der prägnanten Kurzfassung des Bravseins vom kleinen Raben Socke: „Das kann ich mir merken: Immer ,bitte – danke‘ und nicht immer hauen. Bis zum nächsten Mal. Bitte-danke und tschüs.“ Zumindest verbal möchten wir nichts schuldig bleiben. Die Sorge, wir könnten irgendjemanden auf der langen Liste vergessen. Danke sagen gehört zum kulturellen Tauschhandel: „Du gibst – ich danke – wir sind quitt. Und dann beim nächsten Mal andersherum.“ Ein „Do, ut Danke“. Die Dankespflicht als Akt kultureller Höflichkeit.

„Mein erst Gefühl sei Preis und Dank.“ (EG 451) Ist Danken auch ein Akt frommer Höflichkeit? Ein religiöser Tauschhandel mit dem Höchsten? Immer „Bitte-Danke-Amen“?

Eine Geschichte (Lukas 17, 11ff.):

„Und es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hinzog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: ‚Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!‘ Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: ‚Geht hin und zeigt euch den Priestern!‘ Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: ‚Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?‘ Und er sprach zu ihm: ‚Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.‘“

Das ist etwas Eigenartiges bei den vielen Wundern Jesu, von denen die Bibel erzählt. Die Menschen tun danach alles Mögliche: Sie freuen sich, staunen, sind entsetzt; sie loben Gott oder folgen Jesus nach; sie essen, nehmen ihr Bett und gehen heim; sie tun wirklich alles Erdenkliche. Doch nur hier, dieses eine einzige Mal wird davon berichtet, dass ein Mensch Jesus dankt. Auf dem langen Weg hin zum Kreuz, den Lukas über zehn Kapitel hinweg lang und ausführlich schildert, kommt nur hier einer, der ihm dankt und ihm etwas zurückgibt.

Und wie er das macht, passt überhaupt nicht in das fromme Tausch-Schema von „Bitte- Danke-Amen“.

– Zunächst einmal ist sein Danken ein Akt religiösen Ungehorsams. Er tut gerade nicht das, was Jesus sagt. Er geht nicht hin zum Priester. Er hält sich nicht an die kultischen Reinheits-Gebote. Sein Danken ist keine Pflicht, kein religiöser Gehorsam, kein höflicher Anstand, sondern ein Akt der Freiheit. Ein Vollzug tiefster, existentieller Freiheit, selbst gegenüber Gottes Wort.

– Sodann ist sein Danken ein Akt der Nonkonformität: Neun gehen weiter, einer geht danken. Man muss sich diese Szene bildlich vorstellen. Mitten auf dem gemeinsamen Rückweg der Geheilten bleibt er auf einmal alleine stehen, dreht sich um, geht zurück. Es ist wohl kein Zufall, dass er ein Fremder ist. Danken als ein fremdes, ungewohntes Tun – gegen den Lauf der Welt.

– Und schließlich ist sein Danken ein Akt der Anmut und Grazie. Er trägt den Glanz seiner reinen Haut zu Jesus zurück. Er zeigt sich in seiner Schönheit, mit seinem im wahrsten Wortsinne „be-gnadeten Körper“. Und lässt so etwas von dem Wunder, der Gnade aufleuchten, die ihm widerfahren ist. Im Lateinischen gibt es einen schönen Ausdruck für Danken: „gratiam referre“. Die Gnade, die Grazie zurückbringen.

Danken – das heißt: Auch, wenn alle anderen weitergehen, die Freiheit haben, stehen zu bleiben, sich umzudrehen und den Glanz der Gnade in die Welt zurückzubringen.

Glaube lässt sich so, in Abwandlung eines Begriffs von Schleiermacher, als Gefühl letzthinniger Dankbarkeit verstehen. Als die „wider-sinnige“ Gewissheit, unendlich reich beschenkt zu sein. Als das aberwitzige Vertrauen, dass es für alle reicht und es am Ende gut ausgehen wird. Als das Geschenk, die Welt, meinen Mitmenschen, mich selbst mit anderen Augen zu sehen.

„Mein erst Gefühl sei Preis und Dank.“ Es ist gut mit solch einem Dank-Gefühl in den Tag, in die Woche, ins Leben zu gehen. Nicht, weil Gott es bräuchte, dass wir ihm danken. Seine Sonne geht über Bösen wie Guten auf. Er rettet, schützt, bewahrt die Welt auch so und führt sie zu einem guten Ziel.

Sondern weil wir selbst es brauchen. Danken heißt, dass ich mich selbst als Beschenkten begreifen lerne.

Und weil die Welt es braucht. Dass wir als Zehnte stehen bleiben, uns umdrehen und den Glanz, die Grazie, die Schönheit der Gnade Gottes in die Welt zurückbringen.

In diesem Sinne: Danke!

Und ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Theologische Impulse 45, von Dr. Thorsten Latzel