„Bereitet dem HERRN den Weg“ – Wahlkampf im Advent

„Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ (Jes 40,3)

Advent ist eine Zeit der Vorbereitung, der Ankunft. Klar, auch der Ankunft des alljährlichen Familienfests mit Weihnachtsessen, Plätzchen und Geschenken für Frau, Mann, Kind, Oma, Opa, Freunde, Hund, Katze, Maus. Aber zuallererst und vor allem anderen von Christus als dem Herrn der Welt. Von diesem einen Herrn, der völlig anders ist als alle vermeintlichen Herren der Welt. Von seinem Friedensreich singen die Adventslieder: mal fröhlich triumphierend „Tochter Zion, freue dich“, mal sehnsüchtig klagend „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Christi Herrschaft mitten unter uns, in der Frieden und Gerechtigkeit sich küssen, Licht im Finstern scheint und Arme eine frohe Botschaft hören. Sich darauf vorzubereiten, hilft mir, meine Hoffnung zu wahren und mich selbst neu auszurichten. „Siehe, der Herr kommt gewaltig.“ Dafür sind vier Wochen Advent nicht viel.

Nun führt das Ampel-Aus in diesem Jahr dazu, dass der Wahlkampf mitten in den Advent fällt. Was für eine Unzeit! Gefühlt sind die meisten ohnehin jahreserschöpft, virengeplagt oder weihnachtsreif. Die Zeit des Jahres, in der wir einkehren, umkehren, zur Besinnung kommen könnten – nun angefüllt mit Wahlprogrammen und Werbekampagnen auf Weihnachtsmärkten. Alles hat seine Zeit – aber Wahlkampf im Advent?! Das klingt wie ein Plan zur Steigerung kollektiver Selbsterschöpfung und zur Abschaffung der Stille.

Doch vielleicht gibt es bei dieser unzeitigen Terminierung auch etwas Gutes. Dann nämlich, wenn die Botschaft von Weihnachten, von der Geburt Christi als Friedenskönig und Herr der Welt, tatsächlich den Wahlkampf verändert.

Daher keine frommen Wünsche, sondern geistliche Impulse für den Wahlkampf im Advent:

  1. Adventliche Demut. Die Kandidat/innen aller Parteien sind nicht Herren dieser Welt, sondern Diener des Volkes.
    Sie tun gut daran, sich vor falscher Selbstüberhebung zu hüten, sich der eigenen Irrtumsfähigkeit bewusst zu sein und verantwortlich zu reden, zu leben und zu entscheiden – angesichts Jesu Christi als des einen Herrn der Welt, auf dessen Kommen wir hoffen. Nach Artikel 21 des Grundgesetzes ist es die Aufgabe der Parteien, zur „politischen Willensbildung des Volkes“ beizutragen. Nicht mehr und nicht weniger. Die Ziele der Parteien – und das Verhalten ihrer Anhänger – dürfen dabei die freiheitlich-demokratische Grundordnung weder beeinträchtigen noch beseitigen. Sonst sind sie verfassungswidrig und von staatlicher Finanzierung auszuschließen. „Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt.“ Manche Adventslieder bekommen im Spiegel des Wahlkampfs einen neuen Klang. Sie weiten den Horizont politischen Wettkampfs heilsam hin auf die Ewigkeit Gottes.
  2. Wir wählen Werte. Es geht bei der Wahl nicht nur um Parteiprogramme und Spitzenkandidat/innen, sondern immer auch um Grundfragen der Menschlichkeit. Wir wählen Werte. Es geht um Fragen von „Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt“ – so eine Aktion der christlichen Kirchen in Sachsen anlässlich der Landtagswahl in diesem Jahr.
    Wie diese Werte konkret in Sozial-, Arbeits-, Wirtschafts-, Bildungs-, Sicherheits- oder Asylpolitik umgesetzt werden, dazu kann und muss es in einer Demokratie unterschiedliche Positionen geben. Aber die Werte an sich dürfen niemals zur Disposition stehen. Das widerspräche dem Gebot Jesu Christi, dass wir Gott und unseren Mitmenschen lieben sollen. Und es widerspricht dem Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie es in der Präambel und in Art. 1 des Grundgesetzes ausgedrückt ist: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk […] dieses Grundgesetz gegeben.“ „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Wohlgemerkt, es geht hier um Rechte von allen Menschen, nicht nur von deutschen Bundesbürger/innen. Menschenrechte kennen – wie das doppelte Liebesgebot – keine nationalen, ethnischen oder sonstigen Grenzen.
  3. Advent ist Zeit der Umkehr. „Bereitet doch fein tüchtig den Weg dem großen Gast. Macht seine Steige richtig. Lasst alles, was er hasst. […] Die Täler all erhöhet, macht niedrig, was hoch stehet, was krumm ist, gleich und schlicht.“
    Ich finde es eine wichtige Prüffrage für alle Parteiprogramme, wie sie zur notwendigen Umkehr beitragen – damit wir unserer Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gemeinsam nachkommen. Unsere Gesellschaft und unsere Demokratie stehen unter massiven Belastungen – Stichwort Polykrise. Und wir haben eine gemeinsame Menschheitsaufgabe, Gottes Schöpfung auf diesem Planeten zu erhalten. Für uns und für unsere Kinder. All das wird nicht ohne tiefgreifende Änderungen unserer Lebensweise gelingen – Stichwort sozial-ökologische Transformation. Es ist wichtig, dass Politiker/innen diese Aufgaben klar benennen, echte Lösungen anbieten – und keine populistischen Scheinlösungen versprechen, schon gar nicht auf Kosten irgendwelcher Minderheiten.
  1. Verantwortlich leben – der innere Wahlkampf in mir. Die biblischen Geschichten des Advents handeln davon, wie Menschen sich im inneren Streit der Stimmen für Gottes Botschaft entscheiden und Verantwortung für andere übernehmen: Maria, als sie die Botschaft des Engels und das Kind in ihrem Bauch bejaht; Josef, als er seiner Verlobten treu bleibt; die Weisen wie die Hirten, die sich auf den Weg zum neugeborenen Christus machen. Auch unsere Demokratie lebt davon, dass sich Menschen bewegen lassen und Verantwortung übernehmen. Wir sind oft gut darin, auf „die da oben“ zu schimpfen. Und oft werden unsere Politiker/innen per se schlecht geredet. Ich frage dann gerne zurück, wer von den Kritiker/innen selbst in einer Partei ist oder sich anders politisch engagiert. Das macht Mühe: sich politisch zu informieren, zu Sitzungen oder Demonstrationen zu gehen, an Programmen zu arbeiten, mit anderen zu diskutieren. Doch wir brauchen ehrenamtliches Engagement, Gemeinschaft und Institutionen – im Glauben wie in der Politik. Wahlkampf ist eine Zeit, in der jede Bürgerin, jeder Bürger Verantwortung trägt. Mit der wohlfeilen Kritik an „denen da oben“ wäre es auch bei der Weihnachtsgeschichte nichts geworden.
  2. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Es ist das eine, was Menschen sagen – und ein anderes, was Menschen tun. Im Advent feiern wir, dass Gott Mensch wird – sein Wort wird Fleisch unter uns (Joh 1). Gott spricht nicht nur von Liebe. Gott ist Liebe und lebt sie. Gott macht sich für uns klein und schwach, damit wir groß und stark werden. „Walk the talk.“ Das ist auch wichtig für politische Verantwortungsträger. Entscheidend ist ihre Haltung, ihre Integrität, mit der sie Werte von Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt leben. Und ob sie so mit ihrem Reden und Leben anderen Hoffnung geben. Es gibt keinen Grund für politischen Fatalismus oder Pessimismus. Dass die Aufgaben groß sind, ist das eine. Doch entscheidend ist, wie wir mit ihnen umgehen. Ob wir mutig und verantwortlich handeln – und ob wir uns dabei vom Geist Christi leiten lassen. Von dem Geist des Herrn der Welt, der mitten unter uns gegenwärtig ist – und auf dessen sichtbares Kommen wir warten.

Wahlkampf im Advent. Eine ungewöhnliche Terminierung für uns als Gesellschaft. Aus ihr nehme ich aber vor allem etwas für mich persönlich mit.

– Ich möchte mich darin üben, adventliche Demut zu lernen. Wir sind nicht Herren des Glaubens anderer, sondern Diener ihrer Freude, so formuliert es Paulus (2. Kor 1,24). Christus allein ist unser Herr, auf ihn warten wir. Wir sind alle Geschwister. Mich selbst lieb, ernst, wichtig nehmen, aber eben nicht zu sehr.

– Ich möchte mich darin üben, Werte zu wählen – in den großen und kleinen Entscheidungen meines Alltags. Was heißt Menschenwürde, Nächstenliebe, Zusammenhalt ganz konkret: wenn ich arbeite, einkaufe, esse, frei habe, reise? Wie prägt das mein Zusammenleben mit den Menschen, die Gott mir an meine Seite gegeben hat?

– Ich möchte mich darin üben umzukehren. Immer wieder neu. Mit Luther gesprochen: Glauben ist „nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden. […] Nicht eine Ruhe, aber eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden es aber.“

– Ich möchte mich darin üben, verantwortlich zu leben. Im Streit der vielen Stimmen, die ich Tag für Tag höre, auf Gott zu hören. Mich von Gott rufen zu lassen. Und mit meinem Leben zu antworten. Indem ich für andere Verantwortung übernehme.

– Und ich möchte mich darin üben, auf meine Lebensfrüchte zu achten. So leben, dass es keine bittere Beere für andere ist. Sondern eine Traube, die etwas vom Geschmack von Glaube, Liebe, Hoffnung in sich trägt.

Wahlkampf im Advent. Möge der Geist Jesu Christi dabei unter uns gegenwärtig sein.


Theologische Impulse (153) von Präses Dr. Thorsten Latzel

Weitere Impulse: www.glauben-denken.de
Als Buch: www.bod.de
Bild: www.pixabay.com

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