Komm! Adventliche Variationen

1.12.2019

Thorsten Latzel

„Kooomm, komm, komm, komm.“ (vorgebeugt anlockend, wie bei einem Hund) „Komm, jetzt!“ (nachdrücklich, energisch auffordernd) „Komm, bitte.“ (bittend, bettelnd, gewinnend) „Komm!!!“ (einladend, mit weit offenen Armen) „Ach, komm.“ (resigniert ...

„Kooomm, komm, komm, komm.“ (vorgebeugt anlockend, wie bei einem Hund)
„Komm, jetzt!“ (nachdrücklich, energisch auffordernd)
„Komm, bitte.“ (bittend, bettelnd, gewinnend)
„Komm!!!“ (einladend, mit weit offenen Armen)
„Ach, komm.“ (resigniert abwinkend)

Wie warten Sie eigentlich auf das Kommen Christi?

Romantisch, stimmungsvoll, heimelig lockend – mit Adventskranz-candlelight-Stimmung?
„Die Zweiglein der Gottseligkeit, steckt auf mit Andacht, Lust und Freud.“

Oder werden Sie im Advent eher zum „protestantischen Prometheus“: Zum ungeduldigen Himmelsstürmer, zum Weltschmerzleidenden, zum Gottbedränger?
„O, Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf.“

Machen Sie asketische Übungen, Honig-Heuschrecken-Diät und Wüstenwanderung à la Johannes dem Täufer, dem großen Christus-Warter?
„Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt […].“
„Bereitet doch fein tüchtig, den Weg dem großen Gast;
macht seine Steige richtig, lasst alles, was er hasst.“

Oder feiern Sie schon einmal im Glanz des Weihnachtwunders – mit Lebkuchen, Glühwein, Christstollen?
„Tochter Zion, freue Dich, jauchze laut, Jerusalem!
Sieh dein König kommt zu Dir, ja er kommt der Friedefürst […].“

Oder: Haben Sie vielleicht das Warten schon längst aufgegeben?
„Was kann vom Himmel schon Gutes kommen!“

Es ist nicht einfach, auf den zu warten, der immer schon da ist – und uns doch allzu oft fehlt. Advent ist eine widersinnige Zeit. Nicht irr-sinnig, aber wider-sinnig.

„Des Glaubens Widersinnigkeit“: auf den zu warten, der immer schon da ist – und uns doch allzu oft fehlt. So als stünde er unerkannt neben uns an der Haltestelle. Er reicht uns das
Taschentuch, hält uns den Schirm, sagt uns die Uhrzeit – während wir herumtrippeln und überlegen, ob er wohl wirklich kommt und welchen Bus er genommen haben könnte.

Des Glaubens Widersinnigkeit: Warten in der Gegenwart des Ersehnten.

Wenn ich für mich den Advent mit einem Wort, einem Gefühlszustand beschreiben soll, so ist dies: Unfertig sein. Endlich unfertig sein.

Unfertig sein:

Ich bin noch nicht fertig. Bin nicht der, der ich sein werde. Bin unruhig, schwankend // garstig, grob // müde, matt // unfrei, gefangen // verkrüppelt, verkrampft // sehnsüchtig, suchend // fehlerhaft, endlich. Eigentlich bin ich ein ganz Anderer. Ich bin unfertig. Aber: ich bin es endlich.

Endlich unfertig sein. Erlöst von jedem selbstgewählten oder fremdauferlegten Perfektionismus.

Wie könnte ich schon fertig sein, wenn Christus erst noch wiederkommt? Jeder Perserteppich, jeder echte Perserteppich, so sagt man, hat als Erkennungszeichen zumindest einen Webfehler. Ein Hinweis darauf, dass Gott alleine vollkommen ist. Ich knüpfe meinen großen Lebensteppich mit schönen Mustern, Farben und Fäden – und lasse meine falschen Knoten und Webfehler Platzhalter der Güte Gottes sein, Zeichen der Sehnsucht nach der Ankunft des Gegenwärtigen. Ich bin noch nicht fertig.

Die Welt ist noch nicht fertig. Ist noch nicht die, die sein wird.
Einmal wird es anders sein im Himmel und auf Erden.
Wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein.
Ohne Leid und Geschrei und Schmerzen.

Einmal wird es eine friedliche Revolution Gottes geben. Dann wird Christus die Mauer zwischen Himmel und Erde einreißen. Dann wird das Tor von Eden wieder geöffnet sein. Dann werden die Herren dieser Welt verwundert ihre Zettel drehen und sagen: „Nach meiner Kenntnis gilt das sofort.“ Und wir werden noch viel mehr sagen: „Ein Wunder, mit dem eigentlich niemand mehr gerechnet hatte“.

Die Welt ist unfertig. Ist endlich unfertig. Sie ist es, wo das ängstliche Harren der Kreatur verstanden wird als Warten darauf, dass wir als die Kinder des Lichts offenbar werden. Wo wir anfangen als Kinder des Lichtes zu leben. Wo der Geist Erstlingsgabe und nicht Privatbesitz ist.

Ja, auch Gott ist noch nicht fertig. Er ist zwar schon der, der er sein wird. In seinem Wesen, in seiner kreativen, schöpferischen Liebe. Aber gerade wegen der Vollkommenheit seiner Liebe ist er noch nicht fertig. Gott ist nicht fertig, weil er sich mit uns eingelassen hat – mit Adam und Eva, mit Abraham und Sara, mit Maria und Joseph. Gott ist nicht fertig, weil seine Schöpfung noch nicht so weit ist, weil wir ihm fehlen, weil er noch nicht „alles in allem“ ist.

– Gott ist unfertig aus eigener, vollkommener Liebe.
– Die Welt ist unfertig auf diese fremde, vollkommene Liebe hin.
– Ich bin unfertig, endlich unfertig, wo ich mich durch diese fremde, vollkommene Liebe verändern lasse.

Zum guten Schluss eine der Geschichten, in der dieses Unfertig-Sein, diese Wider-Sinnigkeit des Glaubens höchst eindrücklich erzählt wird:

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ Jesus antwortete und sprach zu ihnen: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

Advent – das heißt:
– wie Johannes im eigenen Gefängnis mit brennender Geduld nach dem einen zu fragen, der ganz anders ist,
– auf den wir immer fort warten und der doch schon da ist.
– die Hoffnung nicht aufzugeben, dass die Welt und ich selbst ganz anderes werden: dass Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige rein werden und Taube hören, Tote auferstehen und Armen das Evangelium gepredigt wird.
– und an der unbegreiflichen Verborgenheit der Liebe Gottes nicht irrewerden.

Theologische Impulse 42, von Dr. Thorsten Latzel