Erinnern Sie sich noch an die erste Kirche in Ihrem Leben? Bei mir war es die Evangelische Stadtkirche in Bad Laasphe. Eine Saalkirche aus dem frühen 13. Jahrhundert: meterdicke Mauern, knarzende Dielen, gut reformiert weiße Wände. In ihr wurde ich getauft, konfirmiert, hat mein Glaube laufen gelernt. Ich habe mal inspirierende, mal weniger inspirierende Predigten gehört. Und einen Organisten, dessen Vorspiele die Kirche unserer kleinen Stadt regelmäßig in eine Carnegie Hall verwandelten.
Meinen Glauben gäbe es nicht, nicht in dieser Weise, wenn Menschen vor 800 Jahren nicht den Mut gehabt hätten, Zukunft zu bauen. Unser Glaube wohnt in „Mut-Räumen“ früherer Generationen.
„Mut baut Zukunft“: So lautet das Motto des 30. Evangelischen Kirchbautages in Köln. Der erste mutige „Zukunftsbauer“ in der jüdisch-christlichen Tradition und zugleich das Leitbild späterer Generationen ist Salomo. Ihm, so die Erzählung, war es bestimmt, den ersten Tempel Israels in Jerusalem zu bauen.
Und was für ein waghalsiger Schritt: Gott ein Haus bauen! Ein Haus für den Schöpfer Himmels und der Erde, den Weltenlenker, den Herrn der Geschichte. Für den Ewigen, dessen Name allein schon für uns unfassbar ist: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Ein Haus für den Gott, der im Dunkeln wohnt. Weil wir sein Antlitz gar nicht ertragen könnten. Jedes Gotteshaus, jede Kirche ist im Grunde eine religiöse Unverfrorenheit sondergleichen: eine Wohnung für den unverfügbaren, allmächtigen Gott, der Himmel und Erde in den Händen hält?
„Zum Allmächtigen bitte am Kirchplatz 1, obere Etage, dreimal klingeln. Post für Gott kann im Pfarrbüro abgegeben werden.“
Ein Gotteshaus, eine Kirche zu bauen, braucht Mut. Und es braucht mehr als das. Es braucht das Vertrauen auf das waghalsige Gerücht, dass Gott da ist, dass Gott uns hört und dass Gott unter uns wohnen will. In dem Tempelweih-Gebet Salomos in 1. Kön 8 kommt das zum Ausdruck. Salomo wird in der biblischen Überlieferung viel zugeschrieben: die Bücher Sprüche, Prediger, das Hohelied. Zwei Gebete stechen aus all dem besonders heraus: sein Gebet um ein hörendes Herz und eben dieses Tempelweihgebet. Beide – Herz und Tempel – gehören zusammen.
Am Anfang seiner Regentschaft bittet Salomo, Gott möge ihm ein hörendes Herz geben. Das Herz als Seelen-Raum. Ein Ort tief in mir, um auf Gottes Wort zu hören.
Und im Tempelweihgebet bittet Salomo, Gott möge im Tempel seinen Namen wohnen lassen. Gottes Auge möge Tag und Nacht über diesem Ort offen sein – und Gott möge auf sein Volk hören.
„Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr […]: Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein. Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet, und wollest erhören das Flehen deines Knechts und deines Volkes Israel, wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte.“
Gott braucht kein Haus. Weder um darin zu wohnen, noch um zu uns zu reden. Aber wir brauchen Gotteshäuser, Kirchen. Um uns daran zu erinnern, dass Gott da ist und hört und uns hilft. Um allein oder gemeinsam bei Gott einzukehren und umzukehren. „Herz und Tempel“. Kirchen sind Orte institutionalisierter Innerlichkeit. Einkehrorte. Und sie sind zugleich eine öffentliche geistliche Infrastruktur, gerade in Krisen-Zeiten. Gerade, wenn wir wieder einmal nicht wissen wie aus noch ein, sind Kirchen, Gotteshäuser unersetzlich.
Liest man das Tempelweihgebet Salomos weiter, merkt man das. Es klingt fast wie eine Beschreibung der Krisen unserer Zeit. „Wenn Seuchen sich ausbreiten, wenn kein Regen mehr fällt, wenn Krieg und Teuerung herrschen, wenn die Menschen sich zerstreiten,“ dann, so Salomo, „dann Gott sei Du hier und höre unser Gebet“. „Und“, so betet er weiter, „höre nicht nur wenn Israel betet, sondern auch der Fremde, der an diesen Ort kommt.“
Das Gotteshaus als ein Ort, an dem die Welt wieder zurechtkommt, an dem wir selbst, unser Leben zurechtgerückt werden. Das eigentliche Heiligtum im Tempel war damals die Bundeslade. Eine tragbare Truhe, in der nichts anderes lag als die Tafeln mit den zehn Geboten.
Wir brauchen Gotteshäuser, Orte, an denen wir uns neu an diese Grundrechte von Gottes Schöpfung erinnern. Orte, um Hoffnung zu schöpfen, um unseren Horizont zu weiten, um einzukehren und umzukehren. Orte, an denen Gottes Name wohnt. Orte, an denen Gott sein Auge Tag und Nacht offenhält. Und Orte, an denen wir uns dem Dunklen in uns und um uns stellen, weil wir darauf vertrauen, dass Gott im Dunkeln wohnt.
Wir werden die Klimakrise nicht rein technisch lösen können. Wir brauchen Orte, an denen wir selbst anders werden können.
Wir werden die Kriege nicht mit Waffen allein beenden können. Wir brauchen Orte, an denen wir lernen, wie vergeben und versöhnen geht.
Wir werden die sozialen Spaltungen nicht nur mit Programmen regeln können. Wir brauchen Orte, an denen wir einüben, miteinander zu teilen, was wir haben.
Mut baut Zukunft. Was heißt das für den Kirchenbau in unseren Tagen? Wir können uns die Zeit nicht aussuchen, in der wir in der langen 2000-jährigen Baugeschichte unserer Kirche leben. So wenig wie die Mütter und Väter unseres Glaubens. Wir stehen vor der Herausforderung, den Schatz an Kirchen mit weniger Mitteln zu erhalten, anderen Nutzungen anzupassen, ökologisch zu ertüchtigen. Doch wir tun dies, damit Menschen auch in 50, 100, 500 Jahren „Mut-Räume“ finden, in denen ihr Glaube laufen lernen kann. Herzensräume, um einzukehren und umzukehren, um Hoffnung zu finden und Horizonte zu weiten, um neu zu leben, zu lieben, zu versöhnen, zu teilen.
Ich bin dankbar für die vielen Ideen, Projekte und Initiativen, die es dazu auf dem 30. Evangelischen Kirchbautag in Köln gibt. Die Gemeinden in Köln und der Region bieten dafür zahlreiche Beispiele. Ich selbst habe in den vergangenen 1,5 Jahren in der Weite des Rheinlands viele solcher Mut-Geschichten erleben können.
Etwa in der Gemeinde Winningen an der Mosel, die ihre Kirche einmal von außen nach innen umgestülpt hat. Geistliches Stühlerücken. Alle Kirchenbänke stellten sie nach draußen, damit Menschen dort darauf sitzen können. Und innen entstand ein leerer Raum mit ganzen neuen Gestaltungsmöglichkeiten für Kunst, Kultur, geistliches Leben.
Oder in der Gemeinde Unterburg an der Wupper. Die Gemeinde dachte schon darüber nach, ihre Kirche aufzugeben. Dann kam die Flutkatastrophe, die Kirche war massiv betroffen. Fußböden, Putz, Bänke – alles musste raus. Doch die Gemeinde erfuhr so große Hilfe, dass sie die Kirche nun ganz neu nutzt. Und aus Dank zu einem geistlichen Einkehrort für Menschen auf dem angrenzenden Wanderweg gemacht hat.
Ich habe auch den Schmerz und die Belastung mitbekommen, wenn Kirchen aufgegeben werden müssen. Oder wenn Presbyterien unter den vielen Bauaufgaben leiden. Aber eben auch die große geistliche Kraft, die es für die gesamte Gemeindearbeit bedeutet, wenn neue Räume neu genutzt, umgestaltet oder umgebaut werden. Wie etwa die Vesperkirche Niederberg für Menschen am Rand der Gesellschaft oder die neu gebaute „Willkommenskirche“ in Overath, in der schon der Name Programm ist: Menschen geistlich willkommen heißen!
Mut baut Zukunft. Kirchengebäude gehören zu den größten Schätzen, die wir als Gemeinden für die Weitergabe christlichen Glaubens haben.
– Für eine junge Generation, die mit dem ständigen Gefühl eines „5 nach 12“ groß wird und zurecht die Sorge hat, dass wir gerade die Lebensbedingungen auf Gottes Erde dauerhaft zerstören.
– Für Menschen, die sozial ausgegrenzt werden, die nicht mehr dazugehören und oft schlicht nicht wissen, wie sie über die Runden kommen können.
– Für Menschen, die auf der Suche sind nach Halt, Ruhe, Sinn, nach Gottes Segen in ihrem Leben, auch wenn ihnen oft die Sprache dafür fehlt und Kirche fremd geworden ist.
Ihnen allen „Hoffnungsräume“ zu bieten für Gebet und Widerstand, für gelebte Nächstenliebe, für ein gesegnetes Leben, das ist unsere gemeinsame geistliche Aufgabe. Unsere Kirchen gehören uns nicht. Wir verwalten sie für andere. Deswegen: Lasst uns gemeinsam mutig Kirche bauen. Lasst uns mit unseren Pfunden wuchern. Im Vertrauen darauf, dass Gott selbst mit uns ist.
Theologische Impulse (123) von Präses Dr. Thorsten Latzel
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An 7 Wohnorten gehörte ich bis heute in 10 Kirchen: drei über 100 Jahre alt, sechs gut 50 Jahre alt und ein junges Gemeindehaus, das in Corona offen war und Zulauf hat. Vier von denen wurden aus Kostengründen inzwischen schmerzhaft außer Dienst gestellt; eines an das Jugendamt, 2 fortan ungenutzt und eines vor dem angekündigten Abbruch, fast das Hübscheste.
Aktuell suche ich den Weg, Gemeinschaft auch ohne Kirchgebäude zu leben. (Mein Vorbild dazu steht am Platz der Diakonie)