Wie Maria zum Kinde … Vom notwendigen Gespräch zwischen Laien und Experten

17.5.2019

Thorsten Latzel

Manchmal, wenn man als Referent zu einem Thema angefragt wird, fühlt man sich etwas so wie Maria, als sie zum Kinde kommt: „Warum ich?“ So ...

Manchmal, wenn man als Referent zu einem Thema angefragt wird, fühlt man sich etwas so wie Maria, als sie zum Kinde kommt: „Warum ich?“ So ging es mir, als ich bei einer Sicherheitskonferenz zum Dialog von Laien und Experten reden sollte. Mit solchen Dialogen habe ich zwar regelmäßig zu tun. Dies gehört zur Leitidee Evangelischer Akademien. Was dagegen Sicherheitsfragen betrifft, kenne ich mich nun wirklich nicht aus. Und selbst meine Unkenntnis ist noch kein Alleinstellungsmerkmal. Schließlich kann ich kaum von mir behaupten, „der“ namhafte Laie zu sein, den man dazu unbedingt gehört haben sollte. Doch irgendwann drehte sich die Frage um: „Warum eigentlich nicht ich?“ Es wäre ja mal interessant zu fragen, was sich aus theologischer Perspektive dazu beitragen lässt, dass Laien und Experten gut miteinander reden – auch bei Sicherheitsfragen.

1. Was ist ein Experte?

Anders als „Sachverständiger“ gilt der Begriff Experte nicht als gesetzlich geschützt. Schön ist die Persiflage auf den unsäglichen Experten-Jargon aus Talkshows in den „Känguru-Chroniken“. Dort taucht ein gewisser Dr. Timm Olaf Minne auf, dessen Sätze immer beginnen mit: „Ich als Experte“. Der Begriff dient oft schlicht als rhetorischer Mantel, um eigene Interessen mit vermeintlicher Fachwissenschaftlichkeit zu kaschieren. Er ist zudem vielfach verknüpft mit einer problematischen Entpolitisierung in Zeiten von „alternativlosen Entscheidungen“.

Die erste Rede von „Experten“ gab es übrigens erst in den 1830er-Jahren in Deutschland, als Lehnwort vom französischen expert, das sich seinerseits vom lateinischen Adjektiv expertus – „erfahren, erprobt“ – bzw. dem Verb experiri – „erproben, austesten, eine Erfahrung machen“ – herleitet. In den 1850er-Jahren gab es dann die ersten Expertenberichte von Ingenieuren. Der Kontext ist hier zu beachten: Industrialisierung, technischer Umbruch, Auseinanderdriften der Gesellschaft – ähnliche Prozesse wie heute.

Eine besondere Problematik wohnt dann Expertokratien inne, also einer Regierung aus Fachleuten, Wissenschaftlern und Verwaltungsleuten, meist in Krisen-Zeiten, mit angeblicher Überparteilichkeit. De facto fehlt Expertokratien nicht nur in aller Regel die demokratische Legitimation. Sie sind zudem für eine Demokratie grundsätzlich hochproblematisch: Sie verneinen den politischen Entscheidungsbereich im Blick auf die Wahl gesellschaftlicher Ziele. Sie sind damit latent antipluralistisch und blind für eigene Wertsetzungen. Und sie folgen meist einem streng rational-technizistischen Welt- und Menschenbild: „Moderne Technik bedarf keiner demokratischen Legitimation, wenn sie optimal funktioniert.“ Die Frage von Technokratien, im 20. Jahrhundert intensiv diskutiert, wird im digitalen Zeitalter wieder neu relevant.

Was bedeutet dies nun für das Verständnis von „Experte“? Ich plädiere für ein Verständnis des Experten als Subjekt einer Handlung, der sich vom Verb experiri herleitet. Problematisch ist dagegen ein Verständnis als Träger von Eigenschaften, der sich vom Adjektiv expertus herleitet. Mit anderen Worten: Man ist nicht Experte auf Grund von irgendwelchen Eigenschaften. Sondern man wird es, indem man verantwortlich und vernunftgeleitet handelt, stellvertretend Wissen erwirbt und dieses verständlich weitervermittelt, über Möglichkeiten und Gefahren für Betroffene aufklärt und die eigene Sicht in offen-demokratische Entscheidungsprozesse einbringt.

2. Was ist ein Laie?

Ein Laie wird klassischerweise ex negativo definiert: als Nicht-Experte, dem das nötige theoretische Wissen bzw. die praktische Erfahrung fehlen. In Kognitionspsychologie und Pädagogik spricht man dann von verschiedenen Stadien, die man durchlaufen muss, um vom Laien zum Experten zu werden:

a) eine vortheoretische Stufe mit oberflächlichen Kenntnissen – „man dilettantiert herum“;
b) eine empirische Stufe mit ersten erworbenen Erkenntnissen: die problematische „Teenager-Zeit“: man kennt die Regeln, ist aber überreguliert und kann mit Ausnahmen nicht gut umgehen;
c) schließlich die Experten-Stufe: man hat ein systematisches Wissen und beherrscht Fachsprache, Methoden und Standards; das Ganze wird zertifiziert durch Studium, Ausbildung und Abschlüsse.

Es geht um einen langjährigen Prozess der Internalisierung von Kenntnissen und Kompetenzen. Dabei braucht es zumeist ca. 10 Jahre, um zur/zum Experten/in zu werden. Klassische Bereiche mit einer Unterscheidung von Laien und Experten sind etwa Musik, Sport, Medizin oder Informatik. Und die Beispiele zeigen bereits die Notwendigkeit des Unterschieds. Niemand würde sich wohl gerne von jemandem operieren lassen, der von sich sagt: „Ich bin Laie.“ Das Problem ist aber, dass dieses Verständnis von Laien „ex negativo“ unterkomplex bleibt und für demokratische Prozesse schwierig ist. Und nun kommt die Theologie ins Spiel – mit, wie ich finde, interessanten Pointen.

3. Was ist ein Laie theologisch?

Ursprünglich kommt der Begriff „Laie“ vom griechischen „laios“, dem Gottesvolk. Ein Laie ist definiert als Mitglied des Gottesvolkes, mithin als Gotteskind. Die Mitgliedschaft wird dabei nach christlicher Auffassung durch die Taufe erfahren. Und zwar mit der Taufe als einem Akt der Salbung.

Als Christen haben wir durch die Taufe Anteil an der Salbung Christi (griech. Christos heißt ja Gesalbter). Die Vorstellung von der Taufe als Salbung bezieht sich dabei ihrerseits zurück auf die dreifache Salbung im Alten Testament an 1. Königen, 2. Priestern, 3. Propheten. Das heißt: jeder Laie (im theologischen Sinn) ist qua seiner Taufe ein Gesalbte/eine Gesalbte (Christin/Christ) und als solcher König, Priester, Prophet. Oder um es mit einer protestantischen Deutung der Schlagzeile der Bild-Zeitung aus dem Jahr 2005 zu sagen: „Wir sind Papst“ – allesamt. Was bedeutet dieses theologische Laien-Verständnis nun für die Frage des Dialogs von Experten und Laien im herkömmlichen Sinn?

1. die Laien als Könige: Die Laien haben die Freiheit und die Hoheit, zu entscheiden. Sie haben fundamentalen Teil an der Ausübung von Macht. Politisch übersetzt stellen die Laien immer die Mehrheit der Bürger und sie sind somit diejenigen, die in einer Demokratie letztlich politisch entscheiden sollen. Sie sind der Souverän – weil alle Macht vom Volk ausgeht. Das Volk, die Entscheider sind in ihrer allergrößten Mehrheit immer Laien.
2. die Laien als Priester: Die Laien im herkömmlichen Sinn sind zugleich diejenigen, die die Folgen von Entscheidungen werden tragen müssen. Sie werden die Opfer bringen. Sie sind die Betroffenen. Die Laien sind immer auch die Mehrheit der Betroffenen, der Folgenträger, der Opfer-Bringer. Oder wie es ein Freund immer schön ausdrückt als eine Karikatur politischer Experten-Sprache: „Ich rede nicht zuerst von mir selbst, wenn ich sage: Wir müssen alle Opfer bringen.“
3. die Laien als Propheten: Laien im herkömmlichen Sinn haben aus ihrer je eigenen Perspektive eine spezifische Expertise und Feldkompetenz, die für die Sachklärung wichtig ist. Diese gilt es – im Sinne einer „public science“ – wahr und ernst zu nehmen. Deswegen braucht es neben den Universitäten und Fachtagungen eben auch die Akademie als Ort des Dialogs von Experten und Laien. Als eine echte Begegnung, aus der auch der Fachmann Neues lernt und verändert hervorgeht. Der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher sprach hier in einem starken Bild von der Zirkulation des Gemeingeistes: Er lebt vom Wechselspiel zwischen den stärker inspirierenden Einzelnen (den „Experten“) und der stärker aufnehmenden Menge (den „Laien“), wobei aber beide Seiten sowohl inspirierend als auch aufnehmend sind, nur in unterschiedlichem Maß. Laien und Experten brauchen sich wechselseitig, und der Dialog zielt letztlich auf eine Überwindung der natürlichen Ungleichheit.

Womit wir am Ende schließlich wieder bei Maria sind.

4. Wie kommt Maria denn zum Kinde?

War Maria eine Expertin? – Nein, war sie nicht. Sie war der Erzählung nach Jungfrau. „Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Manne weiß.“ Und auch als Jungfrauen-Geburt ist es in jedem Falle ihr erstes Kind gewesen. Eher ist der Erzengel in der Geschichte als Experte anzusehen: Experte in Sachen himmlisches Wunder. War Maria also Laiin? – Ja. Und sie war es in dem oben beschriebenen theologisch qualifizierten Sinn:

1. Maria hat (als Königin) entschieden („Mir geschehe, wie du gesagt hast“). Das ist wichtig: es gibt ein religiöses wie ein politisches Überwältigungsverbot. Jesus wird später die Menschen immer fragen: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Und: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Auch der Erzengel Gabriel hat in Vertrauen weckender Sprache Maria Rede und Antwort zu stehen: Er vermittelt ihr Kompetenz („Du bist begnadet“, „der Herr ist mit dir“). Er nimmt ihr Befürchtungen („Fürchte dich nicht“). Er gibt ihr aktiven Anteil („Du wirst schwanger werden“, „gebären“, „den Namen geben“). Er erklärt Prozesse („Der Geist des Herrn wird über dich kommen“). Er weist aufklärend auf Unterstützungsprozesse aufzuzeigen („Siehe, Elisabeth ist auch schwanger“). So haben Experten m. E. mit Laien-Königinnen zu sprechen.
2. Maria hat (als Priesterin) Opfer gebracht. Sie erträgt Flucht, Vertreibung, soziale Ausgrenzung. Und sie wird später das Leiden ihres Sohnes kommen sehen und selber daran zu tragen haben. Künstlerisch beeindruckend kommt das in der revolutionären Darstellung der römischen Pietà durch Michelangelo im Petersdom in Rom zum Ausdruck. Auf ihr trägt – als Akt eines bewussten künstlerischen Anachronismus – Maria als eine jugendliche Frau ihren dreißigjährigen toten Sohn auf dem Schoss. Theologisch wurde dies oft gedeutet als Hinweis auf die bleibende Jungfräulichkeit Marias, auf ihre Rolle als Himmelskönigin. Kreuzestheologisch habe ich eine andere Sicht: Auch wenn zwischen dem Leiden der beiden zu unterscheiden ist, zeigt sich hier eine compassion – das Mitleiden der jungen Mutter mit dem zukünftig leidenden Sohn. Eine Gestaltähnlichkeit. Das Mitleiden beginnt bei der Empfängnis. Advent und Passion werden verschränkt. Die Laien tragen das Risiko, gerade auch bei Sicherheitsfragen.
3. Maria hat (als Prophetin) Zeitansagen gemacht. „Ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Das war nicht immer einfach für Jesus. Aber sie war aktiv als Botin beteiligt. Die Evangelien erzählen das höchst unterschiedlich: Bei Johannes ist sie diejenige, die Jesus zu seinem ersten Zeichen bei der Hochzeit zu Kana drängt („sie haben keinen Wein mehr“, „tut was er euch sagt“), und am Ende wird sie neben seinem Lieblingsjünger unter dem Kreuz sein. Bei Lukas stimmt sie im Magnifikat einen Lobgesang auf das revolutionäre Handeln Gottes an („Gott stößt die Gewaltigen vom Thron“) und ist Trägerin der Überlieferung („behielt alle diese Worte“). Bei Markus will sie gemeinsam mit den Brüdern Jesus von seinem gefährlichen Wirken anbringen („Er ist von Sinnen“).

So schwierig der Dialog mit Laien ist, so wichtig ist es eben, auf ihre Stimme zu hören. Weil sie – in aller Schwierigkeit – einem etwas gleichsam prophetisch zu sagen haben.

Theologische Impulse 19, von Dr. Thorsten Latzel