13. September 2018 von Manfred Rekowski
Präses Manfred Rekowski zeigt seinen Organspendeausweis
Die Organspende ist erneut in die Diskussion geraten. Bundesgesundheitsminister Spahn hat einen weitreichenden Wechsel der deutschen Regelung von der Entscheidungslösung zur erweiterten Widerspruchslösung vorgeschlagen. Wenn es zu diesem Wechsel käme, würde jede Bürgerin, jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland ein möglicher Organspenderin bzw. Organspender sein, es sei denn, sie oder er widerspricht und macht diesen Widerspruch aktenkundig. Zurzeit kommen nur solche Menschen als Organspender in Frage, die nachweisbar ihre Zustimmung gegeben haben. Ein solcher Wechsel des Verfahrens ist keine Formalie, sondern eine Veränderung mit einer Vielzahl von Folgen, die gut bedacht sein müssen. Der Staat mutet seinen Bürgerinnen und Bürgern zu, widersprechen zu müssen, wenn sie nicht als Organspenderinnen und -spender in Frage kommen wollen. Kann man das rechtfertigen? Um diese Frage ist nun eine breitere Diskussion entstanden.
Ich möchte zunächst noch einmal festhalten, was ich auch schon an anderer Stelle gesagt habe: Für mich kann die Organspende ein Ausdruck christlicher Menschenliebe sein. Es ist wichtig, hier das „kann“ zu betonen. Die Entscheidung für oder gegen Organspende kann nicht theologisch eindeutig festgelegt werden: Weder erzwingt die christliche Nächstenliebe eine Entscheidung für die Organspende noch kann man Menschen, die eine Entscheidung gegen die Organspende fällen, Nächstenliebe absprechen. Dennoch gibt es viele Christinnen und Christen, die nach reiflicher Überlegung einer möglichen Organspende zustimmen und sie können dies als Ausdruck ihrer Nächstenliebe verstehen. Zu diesen zähle ich auch mich, ich habe einen Organspende-Ausweis ausgefüllt und trage ihn bei mir.
Wie ist der von Bundesgesundheitsminister Spahn geforderte Wechsel des Verfahrens zu bewerten? Es gibt in diesen schwierigen Fragen kein ideales Verfahren. Auch das jetzt bestehende Verfahren der Entscheidungslösung ist nicht ideal. Es ist restriktiver als das der erweiterten Zustimmungslösung, die vor 2012 existierte. Die Zahl der Organspenden ist seit der Umstellung 2012 in den Folgejahren gesunken. Dem gegenüber stehen viele Menschen auf Wartelisten, in sehr vielen Fällen kann nicht mehr rechtzeitig ein Organ transplantiert werden. Wer dem Thema lieber ausweicht oder sich einfach nicht damit beschäftigt, fällt als Spenderin, als Spender aus. Eine erweiterte Zustimmungslösung, wie sie in anderen europäischen Ländern durchgeführt wird und in Deutschland vor 2012 galt, hat wiederum den erheblichen Nachteil, dass sie gegebenenfalls Angehörige massiv unter Druck setzen kann, die in der Situation des Schocks entscheiden müssen, ob Organe entnommen werden dürfen oder nicht.
Aber auch das von Spahn vorgeschlagene Verfahren ist nicht ohne Probleme. Bei einer Lösung, in der Menschen aktiv widersprechen müssen, ist es unabdingbar, dass auch alle ausreichend informiert werden – das ist eine große organisatorische Herausforderung. Denn es kann ja nicht sein, dass Teile der Bevölkerung nicht ausreichend informiert sind und nur deshalb automatisch zu Organspenderinnen und –spendern werden. Die Informationspflicht ist dann größer als bei der jetzt bestehenden Entscheidungslösung. Positiv an dem Verfahren ist aus meiner Sicht, dass sich alle mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Angesichts der Tatsache, dass es bei diesem Thema um das Leben und die Gesundheit von vielen Menschen geht, die auf den Empfängerlisten stehen, finde ich es wichtig, dass alle sich die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, ob sie als Spenderinnen und Spender in Frage kommen.
Schließlich gibt es ganz unabhängig von dem Verfahren der Zustimmung oder des Widerspruchs ein grundlegendes Problem bei der Organspende: Die entscheidende Frage lässt sich nicht abschließend klären, ob die Feststellung des Hirntodes ausreicht, um den Tod eines Menschen eineindeutig festzustellen. Es gibt gute Argumente dafür, dass die Frage um Leben und Tod nicht einzig an dem Organ „Gehirn“ festgemacht werden kann. Ein Mensch ist mehr als sein Gehirn. Doch gilt nach dem Stande der Wissenschaft: Menschen, bei denen der Gehirntod festgestellt wurde, befinden sich irreversibel im Sterbeprozess.
Die komplizierten Fragen um die Organspende machen keine einfachen Antworten möglich. Die Hochleistungsmedizin schafft in vielen Bereichen neue Möglichkeiten, die wir dankbar annehmen können und die zweifelsfrei eine Verbesserung darstellen. Sie führt aber auch zu Handlungsoptionen, wo es keine einfache Bewertung gibt. Es ist aber wichtig, in der Gesellschaft das Für und Wider zu diskutieren. Denn die Diskussion reagiert auf eine Not, die Not der Menschen, die auf ein Organ zur Transplantation warten! Ich finde es deshalb gut, dass die neue Initiative das sensible Thema wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt hat. Ich wünsche mir, dass es eine breite gesellschaftliche Diskussion gibt und viele eine bewusste persönliche Entscheidung treffen. Ich habe eine Entscheidung schon vor einiger Zeit getroffen. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft genügend Organe für die Transplantation bereit gestellt werden können, so dass allen Menschen geholfen wird, denen nach dem Stand der Medizin auch geholfen werden kann.
Von: Manfred Rekowski