Fragen-Wechsel: von nervenden, drängenden und befreienden Fragen

5.6.2021

Thorsten Latzel

Fragen - Dean Moriarty/Pixabay Es gibt Fragen, die können einem ziemlich auf die Nerven gehen. So geht es mir bei einer bestimmten Art von Fragen mancher Interviewer-/innen. „Lieber Herr ...

Es gibt Fragen, die können einem ziemlich auf die Nerven gehen. So geht es mir bei einer bestimmten Art von Fragen mancher Interviewer-/innen. „Lieber Herr Latzel, wie lange meinen Sie, wird es Kirche denn überhaupt noch geben? Was wollen Sie tun, um die Kirche noch zu retten?“ Nun gehört das kritische Nachfragen zu den elementaren Aufgaben von Journalist-/innen. Unerlässlich für unsere offene, demokratische Gesellschaft. Problematisch wird es für mich, wenn die Fragen einen suggestiven Charakter bekommen. Wenn sie Klischees transportieren und nicht am Verstehen, sondern am Vorführen interessiert sind. Dann wird das journalistische Aufklärungspathos zur bloßen Attitüde, hinter der sich die eigenen Vorurteile verbergen. Sprachlicher Marker dafür ist das kleine „noch“. Konkret gesagt: Kirche Jesu Christi gibt es seit 2000 Jahren. Länger als unabhängigen Journalismus. Das Christentum wächst weltweit. Und die Kirche lebt – theologisch gesprochen – aus der Zusage, dass Christus selbst bei ihr ist „bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20). Selbstrettungsaktion abgeblasen. Auch die Annahme, je moderner ein Mensch, desto weniger religiös sei er, ist religionssoziologisch längst überholt. Kritischer müssten mir hier die Kritiker sein. Gerade auch im Interesse der vielen kompetenten Journalist-/innen, die ich kenne: „Stellen Sie Ihre Fragen gerne noch einmal neu.“

Damit komme ich zu einer anderen Art von Fragen. Berechtigte, kritische Fragen, die relevant und drängend sind. Dazu gehört für mich: Was wird aus dieser konkreten Gestalt unserer Kirche? Wie erreichen wir Menschen mit dem Evangelium von Jesus Christus – und zwar in einem freien, offenen Glaubensverständnis? Eine Sichtweise, in der Glauben und Freiheit unbedingt zusammengehören. In der Frauen, Männer, diverse Menschen selbstverständlich gleichberechtigt sind. In der Glauben und Denken einander nicht ausschließen. In der es nicht um das private Seelenheil einiger weniger geht, sondern um das Wohl der ganzen Schöpfung. In der die eigene Identität nicht auf Kosten anderer gepflegt wird. Eine Kirche, die sich eben von Jesus Christus und seiner Botschaft der unbedingten Annahme und radikalen Feindesliebe her versteht. Diese Fragen beschäftigen mich persönlich wie wohl viele Menschen mit kirchenleitender Verantwortung. Weil es ihnen wie mir hier um mehr geht als um den Erhalt irgendeiner religiösen Institution mit rückläufigen Mitgliederzahlen. Deshalb beschäftigen und begleiten mich diese Fragen persönlich, auch wenn ich schlafen gehe oder aufstehe. Denn auch wenn Religionen und speziell auch christliche Religion weltweit wachsen, für diese Sicht des Glaubens und ein weltoffenes Kirchenverständnis gilt dies keineswegs. Den populistischen Reiz zur „Identität durch Ausgrenzung“ und zu simplen Schwarz-Weiß-Bildern gibt es nicht nur im politischen Bereich.

„Stellen Sie Ihre Fragen gerne noch einmal neu.“ Als ich mich kürzlich mit einem Freund über diese Themen unterhielt, verwies er mich auf ein Buch von Simon Sinek mit dem Titel „Start with why.“ In ihm geht es darum, wie Führungskräfte erfolgreich Veränderungen inspirieren können. „Frag zuerst: Warum.“ Warum ist es mir persönlich eigentlich wichtig, dass es diese konkrete Gestalt unserer Kirche gibt? Das ist das eine, innere Warum. Und warum ist es für die anderen, unsere Gesellschaft, weit gesprochen die Schöpfung, die Welt wichtig, dass es sie gibt? Dies ist das andere, äußere Warum. Die Veränderung der Frage finde ich heilsam irritierend und befreiend. Weil sie mir einen anderen Blick öffnet. Darauf, worum es bei der Frage nach der „Zukunft der Kirche“ eigentlich geht. Was für mich persönlich, geistlich, gesellschaftlich hinter dem Anliegen zu ihrem Erhalt liegt. Warum will ich das?

Offene Liste, warum mir meine evangelische Kirche wichtig ist

  • Weil ich mir ein Leben ohne Gott, Seele, Ewigkeit zwar vorstellen kann, aber niemals wünschen würde. Diesen Glauben an Gott habe ich niemals ohne die anderen.
  • Weil mir in Christus die grenzenlose Liebe Gottes begegnet. In ihr spielt es keine Rolle, wer jemand ist, wo er herkommt, wie sie aussieht, wen er oder sie liebt. In der Gemeinde wird für mich etwas von dieser Liebe Gottes erfahrbar.
  • Weil ich zu einer weltweiten Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern gehöre, die sich aktiv für andere engagieren. Mir sind wie ihnen die Schöpfung und das Leben anderer Menschen nicht egal. Wir leben in der Hoffnung, dass Gott einmal alles Leiden beenden wird.
  • Weil mich Gottes Geist dankbar, trotzig und getrost macht. Er befreit mich von der Sorge um mich selbst zur Liebe für andere. Er hilft mir, meine Schönheit zu entfalten und die anderer wertzuschätzen. Gottes Geist wird mir zugesprochen. Das kann ich mir nicht selber sagen.
  • Weil mich die Geschichten der Bibel durch mein Leben begleiten. Um sie recht zu verstehen, braucht es eine lebendige Erzählgemeinschaft. Eine Gemeinschaft, in der Denken und Glauben zusammengehören und in der Wahrheit Gottes nichts ist, was ein Mensch besitzt.
  • Weil der Glauben mein Leben nicht einfacher, aber schöner, tiefer und freier macht. In Gott finde ich Ruhe. Und ich werde durch ihn über Grenzen bewegt. Gemeinsam mit anderen, fremden Menschen, die sich so von Gott bewegen lassen.
  • Weil ich in Gott immer jemanden habe zum Danken, Loben, Klagen. Manchmal tue ich das laut im Gottesdienst für andere und oft tun es andere für mich.

 


Theologische Impulse (94) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher

Bild: Dean Moriarty auf www.pixabay.com

 

Beiträge zu “Fragen-Wechsel: von nervenden, drängenden und befreienden Fragen

  1. Wenn ich eine neue Aufgabe bekomme und zuerst nach dem „Warum“ frage, dann bin ich innovationsoffen und effektiv.
    Wenn ich eine neue Aufgabe bekomme und zuerst nach dem „Wie“ frage, dann bin ich schnell und effizient.

    Heute wird in Deutschland in der Arbeitswelt oft nur noch „wie“ gefragt: „Warum ?“

    Ich bete heute für die katholischen Schwestern und Brüder, die bei der Journalistenfrage vom Anfang „Amtskirche“ hören, wenn „Kirche“ gesagt wurde, und unterscheiden genau.

  2. Ich mache mir um die Frage, wie lange die Kirche noch bestehen wird überhaupt keine Gedanken mehr.

    Denn ich weiß, dass Jesus Christus gesagt hat, dass „selbst Satan persönlich die Kirche nicht zerstören kann“. Diese Aussage von Jesus Christus hat sich als wahr erwiesen. Ganze Reiche und Kulturen sind in der Weltgeschichte untergegangen. Doch die Kirche hat alle diese Veränderungen überstanden.

    Was bedeuten da schon die Austritte? In der Evangelischen Kirche treten auch viele Mitglieder aus, weil sie dem Austrittstrend der Katholischen Kirche anhangen. Sie können beide Kirchen nicht voneinander losgelöst sehen. Was ich auch in Ordnung finde.

    Allerdings ist die Kirche, ich erinnere an die Urkirche, nicht schuld an den Vergehen von Amtsträgern, die ihre menschlichen Verfehlungen nicht in den Griff bekommen haben. Hier muss doch jeder Christ unterscheiden können, dass die Kirche von Jesus Christus gewollt ist und nur unreife Menschen sie geleitet haben.

    Darum ist es auch so wichtig die Frage nach dem „Warum“ zu stellen. Nur sie kann gründliche Antworten hervorbringen.

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