Leere Krüge, volles Vertrauen – oder: wenn Hochzeit und Krise sich treffen

10.6.2023

Thorsten Latzel

Krug Bibelarbeit zur „Hochzeit von Kana“, Johannes 2, Deutscher Evangelischer Kirchentag 2023 Eine Annäherung in drei Akten. 1. Akt: Zeitansage: „Meine Zeit ist noch nicht gekommen!“ – ...

Bibelarbeit zur „Hochzeit von Kana“, Johannes 2, Deutscher Evangelischer Kirchentag 2023

Eine Annäherung in drei Akten.

1. Akt: Zeitansage: „Meine Zeit ist noch nicht gekommen!“ – Oder doch?

Wir befinden uns auf der „Hochzeit von Kanaan“. Am Anfang des Weges Jesu, so wie es Johannes erzählt. Die anderen Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas starten alle in der Wüste. Erstmal innere Einkehr, Versuchung, Askese, Gebet, geistliches Trainingslager. Mehr die protestantisch harte Tour. So etwas liegt uns.

Anders dagegen Johannes. Christus, der Heiland der Welt, beginnt seinen Weg und es geht erst einmal zur Party. Hochzeitsfest. Freunde und Familie sind auch da. Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns – und ging zu einer Feier. „Am Anfang war das Fest.“ Doch, Vorsicht! Was so harmlos als heiter gelöste Familien-Feier daherkommt, birgt etwas anderes in sich. Die Geschichte beginnt mit einer kleinen, unscheinbaren Zeitansage: „Am dritten Tage.“ Da klingelt’s in den kirchlich geschulten Ohren: Drei Tage? Da war doch was. „Am Anfang war die Auferstehung und das Kreuz.“ Bei Johannes ist beides stets miteinander präsent. Und so beginnt auch sein Evangelium.

Die Party droht bald zu kippen: Die Krüge sind leer. Der Wein reicht nicht. Absolutes Worst-Case-Szenario für orientalische Gastfreundlichkeit. Doch nun tritt Maria in Aktion. Und wie die Mütter zu allen Zeiten und in allen Weltgegenden fordert sie ihren Sohn auf, etwas zu tun, ohne es direkt zu sagen: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Das geht direkt ins Appell-Ohr. Schulz von Thun lässt grüßen. Jesus allerdings reagiert wenig charmant, weder als Sohn noch als Christus: „Frau, was geht’s dich an? Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“

Redet man so mit seiner Mutter?

Seine barsche Antwort lässt sich nur verstehen, wenn man begreift, worum es hier geht. Es ist mehr als die Bitte, Bier aus dem Keller oder von der Tanke zu holen. Oder ein kleines Wandlungs-Wunder zu vollbringen: „Jesus, so ein bisschen Wasser zu Wein? Das kannst Du doch. Ist doch für unsere Freunde.“

Sie haben keinen Wein mehr.“ Jesus weiß, was das eigentlich bedeutet: Diese Hochzeit ist bei Johannes wie ein vorgezogenes letztes Abendmahl. Jesu zögert hier – wie bei den andern Evangelisten sonst nur im Garten Gethsemane. Weil sein Weg direkt am Anfang mit Kreuz und Auferstehung beginnt. „Die Welt hat keinen Wein mehr. Darum, Jesus, steh auf von den Toten. Nimm dein Kreuz auf dich. Du bist der Wein, den sie brauchen.“ Daher: „Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Oder doch, gerade jetzt? Weil es so viele gibt, denen im Augenblick der „Wein“ ausgeht.

Sie haben keinen Wein mehr.“ Die alleinerziehende Mutter, die ihre Kinder von allen kostenpflichtigen Angeboten in der Kita und der Schule abgemeldet hat. Auch vom Essen. Sie betet, dass die Waschmaschine, das Auto nicht den Geist aufgeben. Einladungen zu Geburtstag-Partys anderer Kinder sind sowieso nicht drin. Von Hochzeiten erst gar nicht zu reden. „Geht leider zeitlich nicht.“ Irgendwann lädt auch niemand mehr ein.

Inflation heißt weniger essen, wenn man mit jedem Euro rechnen muss. Da wird selbst der Tetra-Pak Wein vom Supermarkt zum Luxus. Nein, die Krüge sind nicht für alle leer. Der DAX hatte im Mai ein Allzeithoch. Doch wir haben ein eklatantes Problem, Güter fair zu teilen.

Sie haben keinen Wein mehr.“ Die Liste der leeren Krügen ließe sich leicht verlängern. Wenn es an einem aktuell nicht mangelt, dann sind es Krisen. Krieg, Geflüchtete, eine Jugend, die unter den Corona-Folgen leidet. Und auch unsere Hoffnungs-Krüge sind vielfach erschöpft. „Deine Zeit ist gekommen, Christus! Wir brauchen neuen Wein.“

2. Akt: Vertrauen – „Was er euch sagt, das tut.“

Die Hochzeit von Kana ist eine Geschichte über Vertrauen. Zunächst einmal trauen die Brautleuten einander. Klar, ist schließlich Hochzeit. In der Erzählung kommt das Paar aber nur am Rande vor.

Da ist dann das Vertrauen Marias. Jesus weist sie mehr als schroff ab. Doch sie vertraut ihm und sagt den Dienern: „Was er euch sagt, das tut.“ Für diesen Satz, Maria, könnte ich dich küssen! Und das als Protestant. Du glaubst an Gottessohn in Deinem Sohn, an den verborgenen Christus. Auch wenn er selbst zunächst noch zögert. Du glaubst, ehe denn das erste Zeichen geschehen ist. Dein Vertrauen bringt das Wunder allererst in Gang. Es setzt eine ganze Kette weiterer Vertrauensakte frei. Und diese Mehrung des Vertrauens ist das eigentliche Wunder.

Da sind die Diener, die tun, was Jesus sagt: Sie füllen Wasser in Weinkrüge und bringen es dem Speisemeister. Muss man sich auch erst einmal trauen. Nicht nur damals haben Leute schon für weniger ihren Job verloren. Sie sind Teil des Wunders, weil sie Jesu Wort folgen, ihm vertrauen.

Da ist das Vertrauen seiner Jünger. Es folgt dem Wunder nach. „Und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Die Reihenfolge kommt bei den Jüngern immer wieder vor. Ihr Glaube hinkt hinterher. Und oft sehen sie auch und verstehen gar nichts. Das finde ich persönlich sehr entlastend. Kenne ich von mir selbst. So funktioniert das oft in unsere Kirche: Hinterher haben wir es immer vorher geglaubt.

Und da ist vor allem das Vertrauen Jesu. Es wird nicht eigens erwähnt. Wie so oft in der Bibel steht das Wichtigste zwischen den Zeilen. Doch irgendetwas muss passiert sein: dass seine Zeit für ihn nun doch gekommen ist, dass er aus dem Zaudern ins Tun kommt. Vielleicht hat er sich von Marias Vertrauen anstecken lassen. Glaubt auch er wie sie nun an den Gottessohn in sich? Selbstvertrauen aus Gottvertrauen: Und das Wasser wird zu Wein, die Welt verwandelt sich, das Wunder nimmt seinen Lauf.

Vertrauen“, so hat es Martin Luther King formuliert, „bedeutet den ersten Schritt zu tun, auch wenn du die Treppe noch nicht ganz sehen kannst.“ Oder mit Meister Eckhart: „Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.“   

Vertrauen ist das, worum es grundlegend geht. Es geht um Credo und Kredit. Um das Vertrauen auf Gott in der Kirche. Um das Vertrauen auf die Bonität in den Banken. Um das Vertrauen aufeinander in unserer Gesellschaft. Dass wir das irgendwie gemeinsam hinbekommen. Mit dem Teilen von Wein, damit alle menschenwürdig leben können. Das mit den leeren Krügen, damit wir nicht weiter über unsere Verhältnisse leben, auf Kosten der Schöpfung und der kommenden Generationen.

Doch wir haben eine dicke, fette Vertrauenskrise. Als Kirche und Banken haben wir unseren Anteil daran.

Wir haben Credo und Kredit bei vielen Menschen verspielt. Viele Menschen haben den Glauben, die Hoffnung aufgegeben. Ein junger Mann hat das in einem Gespräch so ausgedrückt: „In meiner Generation glaubt doch niemand mehr, dass das irgendwie noch gut ausgeht. Mit dem Klima nicht, mit der Politik nicht und die Rente kannst Du sowieso vergessen. Corona und Krieg haben da vielen den Rest gegeben. Die einen setzen Scheuklappen auf und ziehen halt ihr Ding durch. Andere wechseln zwischen Depression, Demo und Panik.“

Und die Nachrichten bieten diesem Misstrauen Tag für Tag reichlich Futter.

Doch was braucht es dazu als vertrauensbildende Maßnahmen? Wir brauchen ein Wandlungswunder der anderen Art: vom trüben Wasser des Zweifels in einen Wein der Zuversicht. Das Wunder eines ansteckenden Vertrauens wie bei Maria: Wenn wir das Gotteskind, den verborgenen Christus im anderen erkennen und so eine ganze Kettenreaktion des Vertrauens freisetzen. Wir brauchen Menschen, die es wagen anders zu leben, umzukehren, zu teilen, ihr eigenes Leben in Liebe für andere aufs Spiel zu setzen. Selbst zum Wein für andere zu werden. Solche Menschen sind Ankerpersonen für das Vertrauen anderer. Und wir brauchen vor allem den Geist Jesu Christi, der uns den Mut verleiht, um Gottes willen etwas Tapferes zu tun. „Meine Zeit, unsere Zeit ist gekommen.“ Dass ich so lebe, dass andere neu Vertrauen gewinnen, Hoffnung schöpfen, lieben lernen.

Das kann ich, das können wir nicht aus uns selbst. Doch Gott kann es. Und er tut es. Durch den Geist Jesu Christi in uns.

3. Akt: Aufbruch – „Das ist das erste Zeichen.“

Johannes erzählt die Geschichte Jesu anders als die anderen Evangelisten. Als eine Art heiliger „count up“.

Insgesamt berichtet Johannes von sieben Zeichen. Bei ihm werden keine Dämonen ausgetrieben oder Aussätzige geheilt. Weil dies auch von anderen „göttlichen Männern“ erzählt wurde, den sogenannten theios aner, so etwas wie die „Marvel-Helden“ der Antike.

Bei Johannes sind die Wunder dagegen immer Zeichen, Hinweise. Sie verweisen auf etwas Anderes, Größeres: auf Christus selbst. Jesus verwandelt Wasser in Wein – er ist der wahre Weinstock. Jesus speist 5000 Menschen – er ist das Brot des Lebens. Jesus heilt einen Blinden – er ist das Licht der Welt. Jesus erweckt den toten Lazarus – er ist der Weg, die Wahrheit, das Leben.

„Zeichen der Zeit“: dafür, dass Gott unter uns gegenwärtig ist. Dass sein Reich angebrochen ist. Dass der Gekreuzigte und Auferstandene die Welt in Händen hält. Wir sind gegenwärtig ja eher an apokalyptische Zeichen gewöhnt: die Schmelze der Gletscher, die Abholzung der Tropen, das Sterben der Bienen. Das Gefühl eines permanenten Fünf-nach-zwölf. Nie war die Polykrise schlimmer als heute. Und von der schieren Masse von acht Milliarden Menschen und unserer Art zu leben, geht ja auch tatsächlich eine massive ökologische Gefahr aus. Die Zeichen des Reiches Gottes nehmen wir dagegen oft schwerer war.

Interessant bei den sieben Offenbarungs-Zeichen bei Johannes ist, dass sie diese kritische Dimension nicht ausschließen. Im Gegenteil. Sie sind himmelweit entfernt von jedem positiven Denken: „Man muss nur auf das Gute sehen.“ Zum Licht der Welt gehört auch damals die Erfahrung tiefer Finsternis. Zum Brot des Lebens gehört auch damals, dass Menschen hungern. Zum wahren Weinstock gehören auch damals „leere Krüge“ für viele: römische Fremdherrschaft, Sklaverei und begrenzte Rechten für Frauen, Kinder, Fremde.

Doch die Zeichen setzen dem etwas anderes entgegen. Sie verweisen auf heilvolles Leben, das in Jesus Christus gegenwärtig ist. Entscheidend bei jedem der Zeichen ist, dass es konkret ist und das Leben von einzelnen Menschen verändert. Es gibt kein allgemeines Zeichen, keine Offenbarung an sich, sondern immer nur hier und jetzt für diesen Menschen. Oder wie es in der Geschichte heißt: „Und es geschah zu Kana in Galiläa. … Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Dieses Zeichen gilt seinen Jüngern damals und ist nicht von Kana zu lösen.

Die Frage ist: Welches Zeichen brauche ich, brauchen Sie eigentlich, dass sich mein Leben, Ihr Leben verändert? Was ist das Zeichen des „Kirchentags zu Nürnberg in Franken“, dass Sie und ich und wir gemeinsam anfangen, Christus nachzufolgen? Dass wir wie Christus Brot mit anderen teilen, Wasser in Wein verwandeln, das Leben von Blinden hell machen, Hoffnung und Vertrauen stiften – und selbst wie Christus zum Wein für andere werden?

Der erste Schritt ist, dass wir dies selbst erfahren und uns schenken lassen. Oder mit den Worten von Bernhard von Clairvaux: Wir sollen überfließende Schale und nicht Rohr sein. Wir müssen uns selbst von dem füllen lassen, was wir an andere weitergeben wollen.

Dazu gehört es, dass wir die Zeichen der Liebe Gottes neu entdecken. Wie reich beschenkt ich bin. Mit Gaben, Gütern, Fähigkeiten: Wie viel von dem, was ich besitze, brauche ich eigentlich wirklich? Mit Geschwistern – den Menschen links und rechts, vorne und hinten auf den Papphockern um Sie herum. Schauen Sie sich einmal in Ruhe um. Alles Menschen, die Gott Ihnen heute persönlich an die Seite gegeben hat. Damit wir wechselseitig füreinander beten, miteinander reden, einander zulächeln.

Probieren Sie es einmal aus: Achten Sie auf die Zeichen der Liebe Gottes im Leben der Anderen. Entdecken Sie das Gotteskind in Ihrer Freundin, Ihrem Kollegen. Vertrauen Sie darauf, dass Gott durch andere Menschen segensreich wirkt – auch in Ihrem Leben. So wie es Maria tat. Sie werden sich wundern. Und seien Sie selbst das Zeichen, das Sie gerne von anderen sehen möchten und auf das unsere Welt wartet.

Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Ja, das gibt es. Zeiten, in denen ich gerne etwas tun möchte, aber noch nicht soweit bin. Zeiten, in denen ich wachse, lerne, höre, warte, empfange. Und in denen ich die Wunder oft gar nicht bemerke, die Gott Tag für Tag tut. Ich schmecke wie der Speisemeister den Wein und begreife doch nichts. Dann hat es Gott wieder mal nicht leicht mit mir. Oder ich laufe wie die Jüngerinnen und Jünger mit meinem Glauben hinterher.

Doch es gibt auch die Zeit, in der ich spüre, dass ich gefragt bin, dass es an mir ist, etwas zu tun. Und es ist gut, wenn ich dann Menschen habe, die mich rausholen aus dem Trott in meinem Kopf und das Gotteskind in mir wecken. In zweieinhalb Wochen mache ich mich dazu auf eine Pilgertour der Hoffnung: acht Tage wandern mit Menschen am Rheinsteig. Ich bin gespannt, was andere mir in dieser Zeit zu sagen haben von ihren Hoffnungsgeschichten. Und vor allem, ob ich höre und verstehe, was Gott von mir will, ob Gottes Geist mir Sinn, Herz und Verstand öffnet.

Das wünsche ich Ihnen und mir: Dass wir hinhören, wenn Gott durch unsere Mitmenschen zu uns spricht: „Es ist an der Zeit!“ Hier auf dem Kirchentag oder wann immer es geschieht.


Theologische Impulse (130) von Präses Dr. Thorsten Latzel

Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: www.bod.de

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