Friede. Jede Predigt beginnt und endet damit: mit dem Frieden Gottes. Er steht als Segenswort am Anfang: „Der Friede Gottes und die Liebe Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen.“ Und am Ende jeder Predigt heißt es: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.“ Alles, was in der Kirche gesagt wird, ist Friedensbotschaft. Nichts anderes hat hier seinen Ort.
Das ist auch in der Bibel so. Etwa in den Briefen des Paulus. Er beginnt immer mit dem Satz: „Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“ Oder bei Jesus. In der Bergpredigt preist er die selig, die geistlich arm sind, die Leiden tragen, die Sanftmütigen, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Frieden stiften, „denn sie werden Gotteskinder heißen.“ Frieden – das ist das erste und letzte Wort Gottes an uns.
Doch zugleich ist Frieden für mich zum Fremdwort geworden. Jeden Tag sehen, lesen wir die schrecklichen Nachrichten aus Israel und Palästina. Als wären unsere Seelen nicht schon wund gewesen:
– von dem verheerenden Krieg in der Ukraine seit anderthalb Jahren,
– von dem Bürgerkrieg in Syrien, über den niemand mehr spricht,
– von der Situation der Menschen in Afghanistan, im Jemen, im Iran.
Und dann kam der 7. Okt. mit dem menschenverachtenden Terror der Hamas. Seitdem trauern Menschen in Israel um ihre getöteten oder entführten Angehörigen. Leidet das ganze Land an diesem schrecklichen Trauma. Leben die Menschen in ständiger Bedrohung durch Raketenangriffen und durch Terrordrohungen der Hisbollah bzw. des Irans. Jüdinnen und Juden haben weltweit Angst, auch hier in Deutschland. Weil sich Antisemitismus, Judenhass in neuer, ungeahnter Weise zeigt.
Es ist wichtig, hinzuhören, wie es den jüdischen Mitbürger/innen geht. Wenn Kinder Angst haben, in die Kita, zur Schule zu gehen. Wenn bei den Älteren die Erinnerungen an die Shoah hochkommen. Jüdisches Leben ist in Deutschland nur unter ständigem Polizeischutz möglich. Jetzt erst recht. Es wäre gut, wenn viele, die jetzt meinen, reden zu müssen, erst einmal hinhören würden. Darauf, wie es unseren jüdischen Geschwistern geht. Hinzugehen zu den Synagogen, ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus, hinzuhören, mit zu klagen, zu schweigen, zu beten.
Und auch darauf zu hören, wie es den Menschen im Gazastreifen geht. Es gibt ein doppeltes Leiden. Über eine Millionen Menschen im Gazastreifen sind auf der Flucht. Mehrere tausend palästinensische Einwohner sind gestorben. Die Versorgung der Zivilbevölkerung ist katastrophal. Es fehlt an allem. Essen, Medikamenten, Strom, sauberem Wasser, Schlafmöglichkeiten. Die Hamas benutzt Kitas, Krankenhäuser, Wohnhäuser als menschliche Schutzschild und unterdrückt jede Form der Opposition.
In Israel selbst gibt es kritische Stimmen zur Ausgrenzung der Palästinenser, zur Siedlungspolitik, auch dazu, wie jetzt militärisch gehandelt werden soll. Auch hier gilt es zu hören, hinzuschauen auf das Leiden der palästinensischen Kinder, Frauen, Familien, Alten. Und zu helfen. Auch sie sind unsere Geschwister.
Das Problem bei vielen Reden ist gegenwärtig das schnelle und falsche „Aber“. Nein, Terror ist Terror – und lässt sich nicht rechtfertigen oder relativieren. Er bleibt schlicht grausam, entsetzlich, verabscheuenswert. Punkt.
Und: Das Leid der einen relativiert oder rechtfertigt nicht das Leid der anderen. Menschenrechte sind unteilbar. Der Schutz der Zivilbevölkerung gilt für alle. Kein Aber, das das Leid der einen gegen die anderen ausspielt.
Doch was heißt das nun, wenn wir von Frieden reden? Gar von der Feindesliebe, wie sie Jesus in der Bergpredigt weiter lehrt: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist : „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“
Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben“ und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
Klingt das nicht allzu idealistisch in einer Welt von Terror und Gewalt? Und läuft solch eine Predigt nicht geradezu Gefahr, politisch instrumentalisiert zu werden? „Schaut her, so habt ihr euch jetzt in Israel und Palästina zu verhalten!“ Nein, in der Bergpredigt geht es nicht darum, dass wir anderen etwas vorschreiben – politische Besserwisser gibt es heute schon genug. Und sie bietet auch nicht einfach ein Handbuch zur Lösung politischer Konflikte – weder damals im römischen Reich, noch heute in der Ukraine, in Syrien, im Jemen oder in Israel/Palästina. Es geht hier darum, was es heißt, Jesus Christus nachzufolgen. Dem Bergprediger, der sich am Ende selbst kreuzigen ließ und der von Gott auferweckt wurde. Die Bergpredigt ist unlöslich verbunden mit diesem Bergprediger.
Wenn in ihr Christus die seligpreist, die geistlich arm sind, die Leiden tragen, die Sanftmütigen, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Frieden stiften: dann beschreibt das, was es heißt ihm nachzufolgen. Die Haltung, in der wir in unserem Alltag leben. Dass wir uns von Gewalt, Unrecht, Hass nicht bestimmen lassen. Und es drück die Hoffnung aus, dass Gott Gewalt und Terror einmal nicht das letzte Wort lassen wird.
Frieden stiften:
Es ist an uns, nicht andere moralisch zu belehren oder es politisch besser zu wissen. Sondern selbst die zweite Meile zu gehen: hinzugehen zu den jüdischen Geschwistern in unserem Land und zu den palästinensischen und unseren Mantel zu teilen mit allen, die im Augenblick um ihre Angehörigen trauern. Ihren Schmerz, ihre Trauer zu teilen und auszuhalten.
Frieden stiften:
Es ist an uns, jeder religiösen Legitimation von Terror und Gewalt zu widersprechen. Gerade auch Antisemitismus und Fremdenhass aus unseren Quellen. Und dafür einzutreten, im anderen immer den Mitmenschen, die Schwester und den Bruder, letztlich das Kind Gottes zu sehen. Was andere tun, steht nicht in unserer Hand. Doch wir sollen uns davon nicht bestimmen lassen. Auch nicht in der Art wie wir von einander denken und übereinander reden.
Frieden stiften:
Es ist an uns, für andere zu beten. Nicht müde werden vor Gott dafür einzutreten, dass Gott Frieden stiftet, auch dort wo wir nicht mehr weiterwissen, mit unserem Wissen am Ende sind. Oder wo wir selbst den Wunsch nach Vergeltung in uns spüren. Mehr Fürbitte für einander täte uns im Augenblick gut.
Die Feindesliebe, wie Christus sie lehrt und lebt, ist eine Zumutung. Weil sie sich nicht daran orientiert, was politisch machbar ist. Sondern an der unbedingten Liebe Gottes, dessen Sonne aufgeht über Guten wie Bösen. Doch nur so bringt sie eine heilsam andere Botschaft in unsere Welt. Weil sie zu allererst mich selbst verändert: mein Bild des anderen und mich aus der Spirale von Gewalt herausführt, die immer nur neue Gewalt gebiert. Und sie verändert meine Vorstellung von Frieden.
Das brauche ich – gerade in dieser Zeit: eine Perspektive des Friedens, die mich verändert. Die mir hilft, anders zu leben: konkret, hier und jetzt. Und die zugleich diese Welt in ein heilsam anderes Licht stellt, weit hinaus über alles, was wir als Menschen vermögen oder verstehen.
Selig sind, die Frieden stiften; denn so werden wir Gottes Kinder heißen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Theologische Impulse (134) von Präses Dr. Thorsten Latzel
(Predigt Altenberger Dom, 29.10.2023)
Weitere Texte: www.glauben-denken.de
Als Bücher: www.bod.de
Guten Morgen,
wie wunderbar geschrieben: der Schreibstil und vor allem inhaltlich, wie ich finde. Danke! Das berührt mich und ganz sicher würde der Text ganz viele Menschen an unterschiedlichen Orten ganz unabhängig davon, was sie so tun und ihre Gesinnung sein könnte, ähnlich ansprechen. Ich habe mir vorgestellt, wie so etwas in unterschiedlichem Textumfang zum wöchentlichen Einstieg in Teamsitzungen in Unternehmen Platz finden könnte z.B. und wie ihre Botschaften Einzug nehmen könnten. Ich habe neulich Dr. Johannes Hartel’s: Hartels Senf #14 zum Thema Israel , P. Mickenbacher, Gunnar Kaiser angesehen, unschlagbare Aufklärung, die Sie und er betreiben, wenn viele Menschen Zugang dazu bekämen, hoffentlich über Insider-Kreise hinaus.
Ja, das Thema hat den zentralen Platz in Kirche und Kirche, mit diesem Thema
darf Platz einnehmen damit überall, unbedingt. Sehen und gesehen werden, in welcher Form und Ausrichtung auch immer Kirche dazu Gestaltet annehmen könnte.
In Hamburg war der Wohnungsmangel immer so groß, dass es Menschen gab, die ihren Traum und Ziel in Hamburg zu leben so verwirklichten, dass sie Häuser bauten und Abzahlungen statt Miete zahlen mit dem Wissen, ihnen wird ihr Haus nie gehören. Sie realisierten jedoch ihren Traum, ihr Ziel und gestalteten es darüber hinaus dadurch zusätzlich in dem Rahmen, der möglich war, selbstbestimmt und nach ihrem Geschmack von Grund auf etwas zu etablieren und zu errichten.
Jesus drückte es anders aus, ich finde, wir dürfen ruhig groẞ und uns trauen mutig weiter und immer größer zu denken, solange wir bodenständig und an so guten Dingen arbeiten, über Tellerränder hinaus. Locker und schrittweise freien Mutes, denn, die Gedanken sind frei.
Liebe Grüße
Heike Groß
1) Könnten Sie auch etwas dazu schreiben, dass auch die Menschen in Israel humanitäre Hilfe brauchen? Hunderttausende evakuiert, viele ohne Einkommen seit dem 7.10., da einer Arbeit nicht nachgegangen werden kann, Familien ohne Schutz, da die Männer eingezogen sind, Angst, da von Feinden umgeben.
2) Könnten Sie Israel offiziell und eindeutig signalisieren, dass die Rheinische Kirche ohne Einschränkungen an der Seite des Budervolk Israels steht?
3) Könnten Sie erwähnen, dass der seit Kindheit aufgesogene Hass sich nicht nur gegen Israel richtet, sondern bald auch gegen die Christen (siehe aktuelle Situation der Maroniten im Libanon)?
Sehr geehrter Herr Dr. Latzel,
ich entschuldige mich ausdrücklich für den Ton in meinen Anmerkungen gestern abend.
Im Gegenteil, ich bedanke mich für Ihre Worte und Ihre Stellungnahme zu den Ereignissen in Israel.
Mich treibt die große Sorge um, dass sich die Rolle der Kirche im Holocaust jetzt in dieser Zeit wiederholt. Ich danke Ihnen deshalb ausdrücklich, dass Sie als unser Präses hingestanden sind.
Ich wünsche mir, dass die Kirche sich eindeutig und klar zu dem Wort Gottes bekennt, dass Gott das Land Kanaan in einem ewigen Bund dem Volk Israel als Erbteil gegeben hat. Ich wünsche mir, dass diese Position der Kirche aktiv verbreitet wird beim Volk Israel, bei unseren Politikern in Deutschland, bei den Politikern der EU, bei denen die für „Free Palestine“ demonstrieren und natürlich bei denen, die zur Rheinischen Kirche gehören.
Ihnen und der Rheinischen Kirche wünsche ich Gottes Segen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Grotz
Ich habe aufgegeben, die Welt retten zu wollen. Dennoch ist mir Frieden wichtiger als alles andere.
Da ich ein in verschiedenen Bereichen engagierter Mensch bin, habe ich manches Mal erfahren, dass Engagement oft an seine Grenzen gekommen war, wo Geld einsetzte die Umstände zu bestimmen.
Trotzdem habe ich immer weiter gemacht. Manchmal bin ich auch mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen. Das alles hatte mich letztendlich nicht zufrieden gestellt.
Erst als ich meinen eigenen Frieden gefunden hatte, bin ich gelassener geworden. Denn dieser Frieden ist auch mein Frieden mit Gott gewesen. Seitdem weiß ich, dass Gott mich da einsetzen wird, wo er es für richtig hält. Aus diesem Grund brauche ich wegen dem Unfrieden in der Welt kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Ich bin nicht sein Verursacher und mache mich da nützlich, wo Gott mich hingehen lässt, um zu helfen.
Gott weiß schließlich, was er tut!